Ich erwache gegen 08:00 und schaue gleich hinüber ins Nachbarzimmer, wo Krisch und Oldo liegen sollten. Oldo ist nicht da und ich gehe davon aus, dass er bereits im Meer schwimmen ist. Was sich gleich

Ich habe Christian gewarnt, aber er steht für ein unkonventionelles Äußeres. Man bedenke die Alienfotos. Übrigens: nur die Zehen des linken Fußes sind lackiert.
Wir prüfen noch unsere am Vorabend im Handwaschbecken gereinigte Wäsche, die wir auf einem zum Glück vorhandenen Wäscheständer vor dem Apartment aufgestellt haben. Meine Sachen sind noch nicht trocken, also lege ich sie vor dem Frühstück in die Sonne auf eine kleine weiße Mauer. Bis in einer Stunde wird sie bestimmt trocken sein.
Das Frühstück dürfen wir uns selbst gestalten aus der reichen Auswahl an drei verschiedenen Brioche, einer für die italienischen Süßmäuler von der hiesigen Zuckermafia hergestellte Mehl-Zucker-Mischung. Dazu wiederum einen starken Capuccino. Oldo verlangt mal wieder einen großen Carfé, Café Lungo oder Café Americano. Aber wieder ist es halt eine normale Capuccinotasse, die ihm vor die Nase gestellt wird. Ohne zu murren trinkt er das starke Gesöff. Seine gewünschten Mengen werden einfach so nicht ausgeschenkt.
Die Bedienung fragt mich, ob ich Italiener oder Deutscher bin. Ich bin etwas verwirrt.

Seltenes Vorkommnis: Mann und Frau im Gespräch. Meistens sind die Zusammenkünfte auf den Plastikstühlen rein gleichgeschlechtlicher Natur.
Ich frage sie, ob sie etwa Deutsche sei. Noi, meint sie in perfektem Schwäbisch, aber in Deutschland, in Mohrhart bei Stuttgart aufgewachsen. Ich glaube sie freut sich mal deutsch bzw. schwäbisch schwätza zu dürfa. So viele deutsche Touristen können wir hier in dieser Gegend Italiens gar nicht entdecken.
Nach dem spärlichen Frühstück raffen wir unsere Sachen zusammen und machen uns um kurz nach Zehn auf zur nächsten Etappe. Den Sporn zu umrunden, das ist in den kommenden zwei Tagen unser Ziel. Die Hitze ist wieder gewaltig, obwohl immer wieder der Himmel sich wolkenverhangen zeigt. Wir befahren längere Zeit die SS 16, die Via Adriatico, die von Nord nach Süd an der Küste entlang führt.
Aber immer wieder suchen wir auch den Sichtkontakt mit dem Meer und fahren hinunter an die Strandpromenade.

In diesem Fall führt ein grüner Fahrradweg durch die Stadt, der zweispurig zu befahren ist. Ich fahre voran, als plötzlich ein älterer Herr mit seinem metallic-blauen Fahrrad vor mir unvermittelt links abbiegt. Da ich bereits auf seiner Höhe bin, habe ich keine Chance. Ich knalle in sein Vorderrad, mein linker Fuß ist sofort raus aus der Schlaufe, den Rechten bringe ich, während ich langsam in Richtung des Herrn zu Boden gehe, nicht aus der Schlaufe. Alles verdreht sich an meinem Fußgelenk, aber schließlich klappt es doch noch, den Fuß frei zu bekommen.


Kennt ihr das? Wir waren vom ersten Augenblick an Freunde, obwohl der Anlass eher auf einen Konflikt gerichtet wäre. Wir unterhalten uns eine Weile. Ich erfahre, dass er ein Sizilianer im Alter von 74 Jahren ist, der seit 40 Jahren in Belgien lebt und jedes Jahr in diese Stadt für ein paar Wochen zum Urlauben kommt. Er hat einen tollen Humor, Menschen wie er und Begegnungen wie mit ihm machen für mich das Leben lebenswert.
Nach meinem Zusammenstoß bin ich doch noch ein wenig verdattert und habe auch ein paar Schrammen abbekommen. Chris holt Geld in der Postbank und Oldo und ich kaufen Getränke in einem kleinen Lebensmittelladen. Daneben gibt es Pizza a taglio, also köstlich belegte Pizzastücke. Ich genieße ein für mich vollkommen neue Kreation mit Tomaten, Krabben und Romanasalatblättern und einem wirklich crossen Teig.
Auch heute gibt es schon wieder eine Zeitverzögerung, irgendwie ausgelöst durch meinen Unfall. Es ist mittlerweile fast 13 Uhr und wir noch nicht einmal 30 Kilometer gefahren. Ich habe keine Ahnung, wie wir auf einen Schnitt von ca. 125 Km pro Tag kommen wollen, so dass wir rechtzeitig in Tarent ankommen. Für heute jedenfalls habe ich keine Hoffnung mehr, dass wir mehr als 80 Km schaffen. Ich bin eigentlich jetzt schon total erledigt und meine Lust auf Weiterfahren ist nur bedingt vorhanden. Aber es nützt ja nichts. Wir haben uns einiges vorgenommen. Es geht also weiter.
Nächstes Ziel ist Termoli, eine Stadt quasi kurz vor dem Abbiegen auf den Sporn Italiens. Als wir Termoli erreichen, brennt die Sonne erbarmungslos auf uns nieder. Dazu geht es zur Altstadt noch ein gehöriges Stück bergauf. Wir kommen an einer Stadtmauer zum Stehen mit Blick hinunter an den Strand, auf die vielen bunten Sonnschirme, die nur teilweise sonnenhungrige Touristen mit ihrem Schutz vor Schatten umarmen. Wir radeln hinein in die historische Altstadt und machen ein paar Fotos vor der Kathedrale.
Obwohl total geschafft, behält die humorige Stimmung die Oberhand und es entstehen sogar ein paar sportliche Fotos.
Aber irgendwann müssen wir weiter, wollen doch heute Abend schon den Sporn Italiens beackern. Und obwohl es sehr heiß ist, und wir gleich nochmal kurz an einem Supermarkt anhalten, beginnt nun ein konzentrierter und fleißiger Abschnitt unserer Reise. Wir kommen plötzlich gut voran, obwohl der Wind wieder von Süden kommt.
Es geht durch eher unbewohnte Gebiete entlang der Küste und gegen 17 Uhr erreichen wir die Abbiegung in Richtung Sporn bei Lesina. Wir halten uns nach links und fahren auf der Landstraße gegen Osten, wo sich schwarzblaue Wolken zu einem Gewitter formieren. Ein Blick auf die Karte verrät, dass es zwei mehrere Möglichkeiten gibt, sich nach Vieste im Osten des Sporns zu orientieren.
Christian hält sich plötzlich mitten in der Pampa nach links und fährt in eine wie in der wie in der Wüste Nevadas einsam positionierte Tankstelle ein. Ziemlich geschafft stellen wir fest, dass wir in der Wüste Nevadas sind. Denn hier sitzen die Trucker mit 0,33 l Peroni-Bierflaschen auf den improvisiert zusammengestellten Plastiksitzen und –tischen neben den Zapfsäulen und unterhalten sich angeregt. Manch einer trinkt Café aber die meisten halten sich an alkoholische Getränke. Das ist durchaus auch mal ein Martini an der Bar dabei. Das erhöht nicht unser Vertrauen in die italienischen Camion-Fahrer, die mit hoher Geschwindigkeit den ganzen Tag lang mit hoher Geschwindigkeit an uns vorüberziehen.
Wir stellen mit Freude fest, dass der Wind auffrischt und ganz plötzlich aus Westen kommt. Er vertreibt also die Wolken und beruhigt uns in Bezug auf die Weiterfahrt in Richtung Osten. Wir essen und trinken etwas, ratschen ein wenig, zeigen uns erfreut über diesen heruntergekommenen Ort, der doch von so viel Leben erfüllt ist.
Als wir uns gegen 18:00 Uhr wieder auf die Fahrräder schwingen, hat der Wind wieder auf Osten gedreht. Merke: Mann sollte nie zu lange Pausen machen, wenn der Wind günstig steht. Ich habe bei der Planung am Rastplatz darauf bestanden, dass wir nicht durch das Landesinnere nach Vieste fahren, sondern über Torre Mileto, einem Haff im Norden der Halbinsel. Das war eine gute Entscheidung, wie sich bald herausstellt.
Die Landschaft wird wunderschön, es geht bergab an die Küste, der Wind treibt uns voran, die Sonne scheint, und trotzdem merkt man, dass es gegen Abend doch ein wenig kühler wird. Nach 36 Grad den ganzen Tag über, tut das sehr gut. Und dann geht es auf dem Haff durch Pinienwälder, die Schatten spenden flach dahin.
Nach 135 Kilometern treten wir in die Eingangshalle eines mitten auf dem Weg gelegenen Hotels. Ein alter Mann an der Rezeption freut sich uns zu sehen, du noch mehr, als wir uns entschließen, die Nacht bei ihm im Hotel zu verbringen. Er nimmt eine leicht gebückte Haltung ein, sein graumeliertes, noch in rauen Mengen vorhandenes Haar schimmert über seinem verschmitzten Lächeln. Er gibt uns den Schlüssel mit der Zimmernummer . Wir quetschen uns samt Gepäck in den engen und altertümlichen Aufzug, stellen fest, es gibt keinen dritten Stock, fahren also in den Zweiten. Die Zimmer sind dort dreistellig, beginnend mit einer Fünf nummeriert. In einem Anflug von Größenwahn wohl, hat man bei der Nummerierung der Etagen einfach nur ungerade Zahlen gewählt. Für uns entscheidend: Zimmernummer 3 liegt also im zweiten Stock. Wir checken ein, duschen.
Meine Freunde hängen Wäsche zum Trocknen auf dem Balkon auf. Wir haben das Zimmer auf der Rückseite des Hotels, also dem Landesinneren zugewandt. Hier befindet sich eine riesige, flache Süßwasserlagune, die durch das Haff vom Meer getrennt liegt, dass sich auf der Nordseite des Hotels erstreckt.

Kurz vor Torre Mileto – es ist Abend und etwas kühler geworden. Die Sonne im Rücken finden wir ein schönes Hotel mitten im Haff.
Endlich ist es soweit. Der alte Herr von der Rezeption hat unsere Bedienung zur Chefsache erklärt. Er nimmt die Bestellung auf, wobei er keine Karte zur Verfügung stellt, sondern uns mündlich übermittelt, was die Küche hergibt. Seine Kellner dürfen lediglich die Sachen herbeischaffen. Wir essen Suppe und Nudeln zur Vorspeise. Oldo nimmt Fisch und Christian Salat und ich Fleisch zum Hauptgang.
Es schmeckt alles vorzüglich und wir stellen neben dem Essen fest, dass wir niemals am Mittag dachten, dass wir wieder über 130 Kilometer schaffen an diesem Tag. Morgen soll es dann weitergehen nach Vieste oder besser noch nach Manfredonia. Wir nehmen uns fest vor, ein bisschen früher als 10 Uhr loszufahren und fallen müde in unsere Betten.
Statistik:
Kilometer: 135,73
Fahrzeit: 06:20:12 Stunden
Average: 21,42 Km/h
Höhenmeter: 561 m