Eigentlich wollen wir schon früh raus. Wegen der zu erwartenden irren Hitze wäre es sinnvoll früh loszufahren und mittags eine längere Pause zu machen. In unserer Unterkunft gibt es kein Frühstück. Ein Hotel wurde uns bereits gestern empfohlen, wo es ein günstiges Büffet geben soll. Der Handy-Wecker von Christian reißt mich aus dem

Wenig essen, viel trinken. Die morgendlichen Vorbereitungen auf die bevorstehende Hitzeschlacht. Wir erwarten über 40 Grad heute.
Schlaf. Gespannt warte ich ab, wie Christian darauf reagiert. Wir haben uns ein 140 x 200 Bett geteilt, ohne uns während der Nacht in die Quere zu kommen. Das sind wir schließlich wie ein altes Ehepaar gewöhnt, die Marotten des anderen auch in nächster körperlicher Nähe zu akzeptieren.
Krischan stellt den Wecker ab, und da ich mich noch sehr müde fühle, reagiere ich nicht. Aber es hilft ja nichts: 10 Minuten später, nach dem zweiten Klingeln springt Krischan auf. Zwei Minuten später steht auch schon Oldo im Zimmer. Er wirkt etwas fahrig, und klärt uns auch gleich auf, warum das so ist. Unsere englischsprachige Hauswirtin hat uns schon bei unserer Ankunft am Vorabend darüber informiert, dass sie einen netten Golden Retriever im Haus hat, dazu zwei Katzen und einen Kater namens Omar Sharif. Und dass wir durchaus damit rechnen könnten, von den Katzen während der Nacht heimgesucht zu werden.
Unsere Verandatüre zum Hof stand die ganze Nacht über sperrangelweit offen. Ich habe in einer Kurzunterbrechung meines Schlafes schon mal kurz daran gedacht, wo die Katzen
wohl sind, und ob sie noch kommen werden. Unser Zimmer liegt zum Innenhof des Anwesens, da wäre es nur natürlich, dass die Tiere des nächtens das Gebiet durchstreifen. Aber ich habe mir weiter keine Sorgen gemacht und weiter geschlafen.
Mit Recht. Denn Omar Sharif gelangte durch das offene Fenster in das Zimmer, in dem Oldo vergeblich versuchte, Schlaf zu finden. Oldo sperrte ihn aus dem Zimmer in den Gang. Da gab es für den Kater kein Entkommen mehr. Und das gab er Oldo zwei Stunden lang durch intensives Jammern, Kratzen und Miauen an seiner Schlafzimmertüre zu verstehen. Oldo traute sich jedoch aufgrund der Hauswirtin nicht, das Tier nach draußen auf die Straße zu setzen.
Wir packen also unsere Siebensachen und begeben uns zum empfohlenen Frühstückshotel. Das erinnert uns in Aufmachung und Verhalten des Personals stark an die sozialistischen Zeiten in der CSSR. Schlurfenden Schrittes bewältigt ein Kellner das Notwendigste, um ein
paar wenige Gäste mit Essen und Getränken zu versorgen. Dazwischen verschwindet er immer wieder lange in den Katakomben des Hotels und muss einmal von Christian gesucht werden, um ein Gericht á la carte bestellen zu können. Fast widerwillig, aber doch mit einer schwer bemühten Freundlichkeit verrichtet er seine Arbeit und es wundert uns nicht, dass sich so wenige Gäste in dem großen Saal verlieren. Oldo meint, dass immer noch viele in dem sozialistischen System verhangen sind wir uns in einer Servicewüste befänden. Naja, Wüstenklima haben wir sowieso auch an diesem Morgen schon wieder.
Schlechtes und unmotiviertes Personal gibt es in vielen Firmen und in allen Ländern, egal welchen politischen Systemen sie sich verschreiben. Finde ich auf jeden Fall.
Immerhin also: das Frühstück ist genießbar und reichlich. Wir laden unsere Bäuche voll. Der Wetterbericht sagt nämlich: es wird immer heißer und wir werden all unsere Kräfte benötigen, um heute Abend Brünn, das laut Oldos Fahrradkarte, die er perfekt ausgearbeitet und zusammengestellt hat, gut 100 Kilometer entfernt scheint, zu erreichen.
Es geht sofort bergauf und da es schon wieder 10 Uhr morgens ist, bis wir starten, ist es bereits über 30 Grad heiß. Ich bin mir einer den ganzen Tag über fortwährenden Leidenszeit bewusst. Und wirklich: es ist hart. Wie schon gestern und vorgestern versuche ich Methoden zu entwickeln, wie ich über den Geist schaffe, mich von der Anstrengung abzulenken. Das ist zum einen das Thema Sex: hilft, ist aber zu wenig ergiebig über die Dauer der Tortour. Natürlich es auch toll immer wieder die Augen auf die Landschaften rings umher zu richten.
Tschechien und auch auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole, ist ein tolles Land und mich wundert es, dass es außer in den Städten touristisch so wenig erschlossen ist. Da sind die Berge, die vielen Seen, in denen wir allerdings niemanden baden sehen. Grüne Wälder, herrliche Alleen, die wir durchfahren dürfen. Hier komme ich zu einem zweiten Zeitvertreib, der die Qualen ein wenig lindern soll. Ich beginne die Streckenabschnitte statistisch zu erfassen, die durch schattenspendende Objekte am Straßenrand gekennzeichnet sind. Dort hat es statt den über 40 Grad in der Sonne, geradezu kühlende 38 Grad und wir lechzen nach solchen Intervallen. Denn wie gesagt: die Anstiege sind heftig, die Straßen schlecht, daher ist bei den Abfahrten höchste Konzentration erforderlich. Nicht, dass einem von uns ein riesiges Schlagloch bei einer Geschwindigkeit von über 50 kmh zum Verhängnis wird.
So merke ich mir nun die Längen der Schatten und addiere sie. Vielleicht ist es auch schon eine Auswirkung beginnender Dehydration, vielleicht wirklich nur eine psychologische Selbstmaßnahme – ich weiß es nicht.
Ich weiß nur, dass ein Telefonmast eine Schattenlänge von durchschnittlich 15 Zentimeter misst, die in einer Zeit von 15 Hundertstel Sekunden dankbar durchfahren wird. Insgesamt, das kann ich jetzt schon festhalten, dürfen wir an diesem Radeltag genau 35.769 Meter im Schatten fahren.
Nach 36 Kilometern erreichen wir gegen 12:30 h schon recht ausgedampft und ausgepumpt die UNESCO-Welterbe Stadt Trebic. Zunächst geht es nur darum, einen schattigen Platz zum Pausieren zu finden. Dies gelingt uns zum Glück gleich, direkt an einem Restaurant, das uns mit einer „kühlen“ Terrasse einlädt, die verkrampften Muskeln ruhen zu lassen.
Ich habe eigentlich keinen Hunger, bestelle mir Mineralwasser und schließlich noch einen Gurkensalat, von dem ich mir erstens verspreche, dass die Scheiben aus dem Kühlschrank kommen und dass er von der hübschen Bedienung serviert wird, die uns bei unserer Ankunft die Speisekarten ausgehändigt hat. Ich werde zweimal enttäuscht. Ein nicht sonderlich aufregender Kellner
stellt mir die Gurken auf den Tisch, die in eine kleine Schüssel gerieben sind. Eine Geschmacksprobe ergibt, dass die dazugehörigen Gurken wohl den kompletten Vormittag über ein Sonnenbad genommen haben, so warm war die Brühe. Aber immerhin was Gesundes für den Körper.
Da die Umgebung nicht so berauschend wirkt, wie es ein Weltkulturerbe zu sein verspricht, fragen wir nach den Sehenswürdigkeiten und werden in einen anderen Teil der Stadt geschickt. Natürlich geht es zur Basilika bergauf. Aber der Klosterhof mit seiner schattenspendenden Linde, und vor allem der klimatisierte Infopoint ziehen uns magisch an. Ich überlege bereits, ohne die Dame hinter dem Tresen einer genaueren Betrachtung zu unterziehen, ob ich sie heiraten werde. Natürlich reine Überlebensstrategie. Ich müsste diesen Raum dann vielleicht nie wieder verlassen. Aber da wir nicht alle diese eine Frau ehelichen können, überreden mich die anderen, weiter mit ihnen zu fahren.
Ich stimme schließlich unter großem Wehklagen zu, und fordere, morgen bereits um 6 Uhr früh abzufahren und mittags in ein Schwimmbad gehen zu dürfen. Die anderen stimmen zu. Ich weiß, dass wir alle wissen, dass hier der Wunsch der Vater des Gedanken ist, aber es hilft mir mich aufzuraffen.
Wir fahren wieder bergab und begeben uns in das jüdische Viertel der Stadt Trebic. Es ist malerisch am Rande eines Flusses gelegen und eine Synagoge ziert das Ende der Straße. Wir machen ein paar Fotos und bitten eine Passantin ein Gruppenbild von uns zu schießen.
Dann sind unsere Muskeln wieder gefordert und wir beginnen die Nachmittagsetappe nach Brünn. Ca. alle 40 Kilometer muss ich meine Wasserblase an einer „Tankstelle“ auffüllen. Panik überfällt mich, als mir einfällt, dass heute Sonntag ist, die Temperaturen noch weiter steigen und möglicherweise die Geschäfte geschlossen haben. Und wir elendig verdursten. Ich sehe schon Geier über einen verlassenen Streckenabschnitt einer tschechischen Landstraße kreisen, in froher Erwartung ein köstliches und reichliches Sonntagsmahl einnehmen zu dürfen.
20 Kilometer vor Brünn ist der letzte Tankstop an einem Penny-Markt. Der ist klimatisiert und ich überlege ernsthaft, ob ich einen der Mitarbeiter als Geisel nehme, nur um ein paar Tage in dem Gebäude bleiben zu können.
Der Hinweis meiner Freunde, dass der darauffolgende Aufenthalt in möglicherweise nicht-klimatisierten tschechischen Gefängniszellen ungleich länger dauern wird, hilft mir auch dieses Mal, den Weg der Tugend nicht zu verlassen.
Und wir schaffen es wirklich nach Brünn, die mit ihren wohl 400.000 Einwohnern zweitgrößte Stadt Tschechiens. Die mährische Stadt erfreut uns entgegen aller oldonischen Voraussagen einer uninteressanten Industriestadt mit einer wundervollen Altstadt, gepflastert mit herausgeputzten Gebäuden verschiedener Jahrhunderte.
Ein Springbrunnen mitten in Brünn erregt meine Aufmerksamkeit und ich kühle meine heißen Backen, während Oldo schon los düst, um sich nach einer Unterkunft umzusehen. Dies gelingt ihm auch gleich.
Mitten in der Altstadt ein Hotel mit eigener Brauerei und Restaurant dazu. Wir dürfen unsere Räder in den ersten Stock, in dem sich auch die Rezeption befindet, über eine Wendeltreppe nach oben tragen und dort in einem kleinen Abstellraum parken. Die nette Dame an der Rezeption bejaht auch die Frage nach einer Waschmöglichkeit für unsere Klamotten.
Wir sollten die Wäsche ihr geben und sie würde sie bis morgen waschen und trocknen. Wir betreten das großzügige 3-Bett-Zimmer und raffen unsere verschwitzten Kleidungsstücke in einen großen Plastiksack. Ich beneide die Dame nicht, aber sie will es wohl so.
Wir duschen uns schnell und um 20 Uhr sitzen wir unten in der Gaststätte und probieren das hauseigene Radler. Ich habe schon bessere getrunken. Auch das
Essen könnte schmackhafter sein. Mein Riso mit Karotten und Käse fühlt sich ein wenig zu pampig an. Wir ratschen, lassen den Tag noch einmal vorüberziehen und wechseln dann noch in ein Straßenrestaurant. Auch gegen 23 Uhr hat es immer noch fast 30 Grad. Heute sind laut Oldo, der immer mal wieder Wetterberichte und Nachrichten aus dem Internet kundtut, an 84 tschechischen Wetter-Messstellen die Temperaturrekorde gefallen.
Mir graut deshalb schon vor unserer nächsten Tagesetappe nach Ölmütz, die wir selbstverständlich wieder viel früher als 10 beginnen wollen. Am besten schon um 8 Uhr. Na, wir werden sehen.
Die Statistik zum Schluss:
3. Etappe: reine Fahrzeit:05:44:53 Std
Strecke: 104,21 Kilometer