Endlich ausgeschlafen. Ich erwache nach über neun Stunden erholsamem Schlaf. Ein Blick aus dem Fenster straft den Wikinger von gestern erst mal Lügen. Fast lugt die Sonne aus den Wolken heraus. Wir stehen zügig auf und begeben uns in den Frühstückssaal. Die Tische wie auch die Stühle sind mit weißem Leinen überzogen. Die Tapete besticht durch ihr geschmackloses Hellblau, verziert mit einem rötlichen Blumenmuster. An der Decke hängen große Lüster, die dem Raum einen mondänen Anstrich geben. Wir werden begrüßt mit der Musik von Louis Armstrong, der mich gleich wieder in entspannte Urlaubsatmosphäre versetzt.
Das Frühstück ist reichhaltig und abwechslungsreich. Neben Wurst gibt es auch Camembert, verschiedene Früchte und Müsli, daneben verschiedene Brotsorten und Reiswaffeln. Ich bestelle meinen Lieblingstee, den Grünen nämlich. Dazu hebt Fruchtsaft die morgendliche Laune.
Nach dem ausgiebigen Frühstück begibt sich Christian zum Radhändler und ich mich in mein Zimmer, um an meinem Blog zu schreiben. Die Zimmerwirtin schenkt uns aufgrund unserer Panne noch einen Aufschub zur Abreise.
Christian kommt total begeistert mit seinem reparierten Rad zurück. Der Händler wäre so nett, sein Sohn ist schwedischer Rennradmeister, er selbst früher ungarischer Meister gewesen. Die Reparatur ist um etwa die Hälfte billiger als vergleichsweise in Deutschland. Er lässt sich daher sein komplettes Rad generalüberholen. Gegen 14 Uhr verlassen wir unser Hotel und fahren in die Innenstadt von Kristianstad. Ich will noch zur Post, zum Friseur, Krischan möchte noch ein wenig bummeln, Fotos machen.
Aber leider haben alle Friseure geschlossen, das mit der Post vergesse ich, nachdem wir ein Lokal mit leckeren Salaten ausfindig machen. Den gönnen wir uns noch in der griechischen Version, was aber auch kein Sommer-Sonne-Urlaubsgefühl erzeugt. Das Wetter ist im Übrigen stark bewölkt und es ist recht mild. Ich schätze zwischen 18 und 20 Grad.
Wir verlassen die Stadt gegen 15 Uhr und wenden uns Richtung Norden. Es ist gar nicht so leicht einen guten Weg in Richtung Karlhamn zu finden. Die ganz kleinen Straßen sind auf der Karte nicht eingezeichnet. Da hilft nur Fragen. Das tun wir an diesem Tag des Öfteren und lernen ausschließlich freundliche und zuvorkommende Schweden kennen, die ausnahmslos englisch sprechen. Als wir endlich in die richtige Spur gekommen sind, haben wir ein deja vú. Zur gleichen Zeit wie am Vortag öffnet der Himmel seine Schleusen. Ab kurz vor Vier regnet es aus allen Rohren.
Zum Glück befindet sich genau in diesem Augenblick linker Hand ein kleines Gewerbegebiet mit einem vertrauten Lidl-Markt. Ich biege sofort ein und stelle das Bike unter einem Vordach des Gebäudes ab. Christian folgt. Triefend stehe ich bei meinem Freund und beneide ihn um seinen gelben Regenponcho, in dem er aussieht wie ein Außerirdischer. Kleine Sünden straft der Herr sofort. Meine kleinen Gags werden also sofort geahndet. Die Temperatur ist mit dem Regenguss zurückgegangen und frierend stehe ich also da. In der Hoffnung, dass es im Supermarkt etwas wärmer ist, begebe ich mich hinein und werde fast erschlagen von der eisigen Luft, die die Klimaanlage erzeugt. Schnell nehme ich mir ein paar Packungen Reiswaffeln aus dem Regal, etwas zu trinken und eile der Kasse entgegen.
Draußen teile ich eine Packung Kekse mit Krischan und höre mir nochmals seine Lobeshymne auf den Poncho an. Derweil sondieren meine Augen das Geschäft neben Lidl und auch, etwas entfernter über der Straße, einen anderen Markt, der wohl geöffnet hat, da sehr viele Autos seinen Parkplatz säumen.
Vielleicht haben die ja Regencapes für Biker, sinniere ich, und teile Christian meine Entscheidung, statt am Montag wg. Erkältung und Regenfrust frustriert die Heimreise antreten zu wollen, es zu versuchen und mir einen Poncho zu ergattern. Wir eilen rüber und Christian meint, er müsse auf jeden Fall mit ins Geschäft, damit auch alles gut geht.
Ich gehe schnurstracks in die Gartenabteilung und frage eine junge Mitarbeiterin nach dem Gesuchten. Sie wirkt sehr gelassen, indem sie andeutet, dass es zwar sein kann, dass es Ponchos gibt, aber dass dies durchaus nicht der Fall sein muss. Sie begleitet uns rüber in die Klamottenregion. Nach kurzem Rundblick schüttelt sie bedauernd den Kopf. Gerade als ich sehr enttäuscht darüber sein will, dass meine Entscheidungskraft von vorhin nicht zum Erfolg führen möchte, fällt mein Blick in nördliche Richtung.Und was hängt da wie bestellt und nicht abgeholt: ein einziger roter Regenponcho. Ich eile sofort hinzu, damit kein anderer Kunde das obskure Objekt der Begierde in Besitz nehmen kann. Es ist unglaublich: obwohl das gute Stück aus der Entfernung noch etwas klein aussieht, stellt sich heraus, dass er genau die richtige Größe hat, nämlich XL. Ich schlüpfe rein und er passt wie (vom Regen) angegossen. Da er 340 skr, also knappe 40,- € kostet, bin ich der festen Überzeugung, für mich, meinen Freund Christian und den Rest der schwedischen Welt die beste Entscheidung getroffen zu haben, damit endlich die Sonne wieder scheinen kann.
Und wirklich: als wir den Markt verlassen, hat es aufgehört zu regnen.
Ich streife den knallroten Poncho gleich vor dem Markt über und beginne mich von der ersten Sekunde an, pudelwohl darin zu fühlen. Er wirkt wärmend, ich bin von der Aussenwelt abgeschotet, ja geradezu beschützt. Ich steige auf das Rad und siehe da: auch jetzt passt alles hervorragend. Nichts zwickt, nichts zwackt und beschwingt und glücklich geht für mich die Reise weiter.
Das nun nicht nur der Regen aufgehört hat, sondern auch teilweise die Sonne hinter den Wolken hervorlugt und die Luft schwülwarm werden lässt, stört mich und meinen Poncho nicht im geringsten. Wir sind ganz schnell dicke Freunde geworden. Auch mit dem Alien an meiner Seite versteht er sich hervorragend.
Wir treten intensiv in die Pedale und erreichen kurz nach 20 Uhr, nachdem wir die Landschaft Schwedens mit seinen ruhigen Straßen inmitten von Wäldern und Weizenfeldern genossen haben. Es geht durch ein monumentales, aus Fels gegossenes Stadttor hinunter ins Zentrum und zum Hafen. Wir wollen uns hier gleich informieren, aus welchen Städten und zu welchen Zeiten Fähren in Karlshamn landen (die meisten werden es im Gegensatz zu mir schon gewusst haben: das „hamn“ steht übrigens für „Hafen“). Aber das Touristenbüro hat bereits geschlossen, und die Einheimischen wissen gar nichts. Der Hafen sieht nicht sehr frequentiert aus. Wenn da am Tag ein Schiff landet, wird das wohl viel sein. Unsere Hoffnung war zu erfahren, ob täglich eine Fähre aus Klaipeda (Memel) ankommt, mit der wir eventuell in ca. zwei Wochen zurückkehren können, wenn es wieder Richtung Deutschland geht.
Aber: so bleibt uns nur, die nette Pizzeria nicht zu vergessen, die wir am Hafen vorfinden, ehe wir uns auf die Suche nach einer Unterkunft begeben. Schon bald sind wir fündig. Im Hotel Port finden wir ein Zimmer mit Zwillingsbett zum akzeptablen Preis von 799,- skr. Die Betten sind sehr schmal und ich frage mich, wie nahe ich heute Nacht einem Außerirdischen kommen kann.
Dann geht es nach dem Duschen mit Rad die 2,5 Km zurück in die Pizzeria, in der Christian und ich den Tag Revue passieren lassen, und über ein paar Witze aus unserer gemeinsamen Schulzeit herzlich lachen müssen.

Hinweisschild auf die seltsamen schwedischen Golfplätze, die mit den sonstigen der Welt kaum zu vergleichen sind.
Doch nun ist es auch für mich Zeit zu schlafen. Gute Nacht!
Die Statistik:
84,33 Kilometer
04:25:45 h Fahrzeit
19,03 Km/h Durchschnittsgeschwindigkeit
449 m Höhenmeter
106 m höchste Erhebung