8. Etappe: von Stockholm nach Helsinki (04.08.2011)

Nach den Bierchen mit dem Nachtportier war das Aufwachen nicht ganz so erfrischend wie an den vorangegangenen Tagen. Ich döse noch ein wenig vor mich hin, während Christian schon zum Frühstücken geht.

Für ein Vier-Sterne-Hotel wirkt der Frühstücksraum eher wie der einer Jugendherberge auf mich, als ich ihn eine halbe Stunde später betrete. Christian sitzt immer noch da und nippt an seinem Kaffee. Aber das Angebot ist einmal mehr sehr zufriedenstellend bis phänomenal. Hartgekochte (natürlich – was sonst) Eier, Wurst, Camembert, Gorgonzola, Früchte, Müsli, Säfte, alles was das ausgehungerte und kaloriensüchtige Radlerherz begehrt.

Ich merke, wie unruhig Christian heute Morgen ist. Er steht auch gleich auf und meint, er würde noch mal zum Hafen fahren, und das Ticket für die Überfahrt nach Helsinki dingfest machen. Ich lasse ihn gehen, froh, eine Stunde für mich zu haben. Ich gehe nach dem Frühstück auf mein Zimmer, prüfe, ob die gestern gewaschene Wäsche trocken ist. Gehe noch mal ins Internet und checke meine Mails. Aus der Schweiz ist wieder was gekommen, von einem netten Paar, das ich im vergangenen Herbst in Tirol kennengelernt habe. Ich finde es schön, wenn aus Begegnungen Freundschaften entstehen, die sich bestätigen über einen langen Zeitraum, ohne das man sich ständig sieht. Ich beantworte die Mail und packe meine Sachen, so dass ich rechtzeitig auschecken kann.

Derweil klingelt das Telefon. Christian hat schlechte Nachrichten. Ihm wurde im Ticketbüro der Silja Linie die Pistole auf die Brust gesetzt. Keine billigen Überfahrten mehr buchbar, lediglich eine Kabine zum Preis von über 300 €. So schön das Gefühl auch sein mag, auf der Fähre ein Bett zu haben – das ist uns zu teuer. Er kehrt zurück und fährt zur anderen Company, der Viking Line. Wir verabreden, uns zwischenzeitlich anzurufen, wenn wir in der Stadt unterwegs sind, um uns dann wieder zu finden.

Im Internet finde ich noch eine Gebrauchsanweisung für den Einbau meines Tachos. Ich sehe es mir genau an. Ich denke ich habe das Problem erkannt und muss nur Magnet und Empfänger etwas näher zusammenschieben, weil nach dem Radwechsel womöglich der Abstand zu groß ist. Danach versuche ich noch meine Gefährtin telefonisch zu erreichen, was mir leider nicht gelingt. Ich habe schon das dringende Bedürfnis, mal wieder ihre Stimme zu hören.

Ich bewege meinen ausgelaugten Körper mit dem schmerzenden rechten Fuß zur Rezeption und bezahle noch die Getränke vom Vorabend. Die Dame dort geht in die Garage und schiebt mir mein Fahrrad nach draußen. Als zwanghafter Statistiker – wie der geneigte Leser sicher schon bemerkt haben dürfte – schaue ich mir sofort meinen Tacho an und siehe da: ein Griff in die richtige Richtung und er zählt wieder meine Meter und Kilometer. Wirklich: es waren lediglich der Magnet und das Steuerungsteil ein wenig zu weit auseinandergedriftet.

Ich schwinge mich auf meinen Drahtesel und wende mich der Richtung zu, wo ich das Zentrum vermute. Aber ich muss zweimal fragen, so verwirrend erscheint die Innenstadt von Stockholm. Es ist belebt an allen Ecken und Enden in dieser mit südländischem Flair ausgestatteten Stadt. Viele Cafes säumen die Straßen und sind gut gefüllt mit wohl gelaunten Menschen. Wobei wahrscheinlich ca. 1 Million Touristen derzeit die Stadt belebter machen, als sie im Herbst oder Winter in Wirklichkeit ist. Aber es ist interessant, mit dem Rad die hübschen Seiten von Stockholm zu erfahren. Viele auffallend schöne Gebäude sind zu finden, die königliche Reitgarde kreuzt meinen Weg ins Zentrum.

Ich denke, dass mir Krischan vielleicht einfach über den Weg fährt. Aber dem ist nicht so. Irgendwann höre ich aus einer Gasse heraus wohlklingende Musik und orientiere mich direkt dorthin.

Und siehe da: drei junge Frauen ausgestattet mit Cello, Gitarre und zwei wundervollen Stimmen unterhalten die Passanten auf einem kleinen Platz, der mit kleinen Cafes und Irish Pubs bestückt ist. Ein älterer, vielleicht obdachloser Mann ist ebenso begeistert von der Musik wie die übrigen Passanten und den Platz säumenden Cafe- und Kneipengästen. Nur er alleine hat keine Scheu, seinen Körper im Rhythmus der Musik zu wiegen, und ab und zu auf seiner hellblauen Mundharmonika zur Melodie mitzublasen. Ich habe sogar das Gefühl, dass die Stimmung der Mundharmonika zur Tonlage der Musik passt.

Ich telefoniere mit Krisch und er findet den Platz 20 Minuten später. Wir hören noch ein bisschen zu und begeben uns dann zu einem chinesischen Restaurant in der Nähe. Es gibt Büffet für 89,- skr, das sollte man sich nicht entgehen lassen. Es schmeckt vorzüglich. Auch die Stockholmer Spatzen wissen das und sind erstaunlich keck. Setzen sich auf die Bänke, fliegen sogar ins Lokal.

Christian hat von seiner Erkundungstour gute Nachrichten mitgebracht. Wir haben ein Ticket der Viking Line nach Helsinki. Allerdings Deckpassage, was bedeuten kann: kein Schlaf.

Aber immerhin: um 16 Uhr ist Check In, ab 17 Uhr geht es los in Richtung Helsinki.

Wir haben nach mehrfacher Beratung uns entschlossen, nicht nach Turku zu reisen. Es wären von dort aus bestimmt noch ca. 200 Kilometer nach Helsinki gewesen. Das lässt aber unser Zeitplan nach der Panne vom zweiten Tag nicht mehr zu.

Das Schiff ist riesig, dementsprechend geht es zu. Menschen vieler Nationen sind unterwegs und machen aus einem einfachen Stahlgebilde eine Multi-Kulti Atmosphäre. Ich finde ganz schnell einen Platz, an dem ich meinen mittlerweile dick angeschwollenen Fuß etwas hochlegen kann, und der zudem mit einer Steckdose für meinen PC ausgestattet ist. Heute habe ich wieder ein wenig Zeit zum Schreiben.

Zwischendurch erkundet Chris das Schiff. Er ist lange weg, das bestätigt meinen Eindruck von vorhin: es ist riesig.

 

Wir überlegen auch die weitere Route und sehen uns den Wetterbericht im Internet an. Der verheißt ab Sonntag für das Baltikum nichts Gutes. Regen, Wind mit der Stärke 3 – 4 und Böen bis Windstärke 6 aus südwestlicher Richtung, in die wir fahren wollen. Wir beschließen uns morgen bis zum Nachmittag Helsinki anzusehen und danach nach Talinn überzusetzen, sofern eine Fähre zur Verfügung steht.

Heute Abend klappt es für mich dann auch mit dem schon am Morgen ersehnten Telefonat mit meiner Gefährtin. Krischan begibt sich gegen 24 Uhr in einen Schlafraum, in dem einige Schiffspassagiere am Boden liegend Kraft für den morgigen Tag holen können. Dieser Raum ist wirklich nur mit einem Teppich ausgestattet. Sonst ist darin nichts, außer den mit Schlafsack und Isolationsmatte ausgestatteten Touristen.

Es ist jetzt knapp 3 Uhr nachts Ortszeit und ich begebe mich nun ebenfalls dorthin,  nachdem ich wieder ein wenig am Blog geschrieben, und dabei dem hervorragenden Pianospieler in der Lounge gelauscht habe. Der hat gerade eben auch seinen Arbeitstag mit einer Schnulze von Elton John beendet.

 

Für die Statistik:

8,82 Kilometer

0:46:01 reine Fahrzeit

11,46 km/h ave

33 m Tageshöhe

 

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