Nach vielen Wochen des Wartens auf mein neues Fahrrad, ein Trike, das in der Ausstattung genau auf mich zugeschnitten sein soll, hoffte ich noch am vergangenen Samstag, dass ich spätestens heute damit in den lang ersehnten Urlaub fahren kann.
Aber das Schicksal hat mir einen Strich durch die Rechnung gemacht. Schon auf der Jungfernfahrt ergaben sich so große Probleme, dass ich das heiß ersehnte Fahrgerät vollkommen ernüchtert bereits nach dem ersten Wochenende wieder zurückgeben musste. Ich war stark an die erste Fahrt der Titanic erinnert, wobei natürlich niemand behauptet hat, dass mein neues Trike unsinkbar ist.
Weder der Verkäufer, geschweige denn der Hersteller. Aber schade ist das Ganze doch. Schließlich habe ich auf meiner Website „Radreisegeschichten.de“ schon Posts veröffentlicht, dass ich den ganzen April von Rom aus um ganz Sizilien herum fahren will. Habe mir Urlaub genommen – 30 Tage lang – und mein neues Fahrrad so bestellt, dass es nach Aussagen der Verantwortlichen für eine friedliche Übernahme rechtzeitig ankommt.

Mein neuer Flitzer nach der Jungfernfahrt. Er strahlt und ich auch – allerdings glänzend vor Schweiß.
Und nun das. Kein Fahrrad am ersten April. Kein Scherz. Ok. Ich habe viel zu tun in meinem Haushalt. Erlebe mich als Stiergeborener trotzdem extrem flexibel und nicht unbedingt immobil. Alles kein Problem. Auch mein Garten will versorgt sein. Ich mähe den Rasen, kaufe Geranien und Petunien für meinen wundervollen Balkon, auf dass dieser meine Freunde auf der Party im Sommer erfreuen möge. Und ja, es ist so, dass mein Einsatz diesbezüglich immer noch Frauen am meisten ins Auge sticht. Und das hat doch was, für einen Stiergeborenen.
Als ich am Montagmorgen mit dem Anhänger meines Mitbewohners mein Trike demütig zum Pedalium nach Neuried bei München fahre, steht mein Entschluss fest. Egal, was das Schicksal mir auferlegen will: Ich gehe auf Radreiseurlaub. Komme, was denn wolle. Und er mag kurz sein, er mag mit Schwierigkeiten gepflastert sein. Und er mag mit einem Rad geschehen, das für solche Unternehmungen als eher gar nicht geeignet von fachkundigem Publikum bezeichnet wird. Einem ICE-Trike, ungefedert.
Aber mir ist jetzt alles egal. Ich will es wagen.
Ich bitte Felix, meinem Schrauber und Eigentümer von Pedalium noch ein wenig Hand anzulegen an meinem Rad. Klingel, Halterung für das Navigationsgerät, Schutzblech (wenigstens am Hinterrad).
Nun denn. Er meint, 160 Kilometer am Tag mit dem Rad wären ein Ding der Unmöglichkeit, als ich ihm von meinen Plänen erzähle, nach Italien reisen zu wollen. Mit einem gestrafften Programm, nachdem ich über zwei Wochen auf den Antritt meines Radlurlaubes warten musste. Klar, er ist erfahren, fährt seit Jahr und Tag ein Liegerad. Mal schauen. Es gibt ja auch Züge, in die man einsteigen kann, oder im Notfall die Mitfahrzentrale, wenn die eigenen Kräfte es nicht mehr zulassen, weiter zu fahren.
Trotzdem starte ich heute endlich in meine Radreise. Zwar bin ich noch morgenmüde, komme etwas schwer in Gang, an diesem sonnigen Dienstagmorgen, der ja geradezu zum Fenster hereinruft, man möge sich so schnell wie möglich nach draußen begeben und sich auf´s Fahrrad schwingen. Um die Strahlen des Frühlings auf die Haut zu lassen.
Aber ich habe noch ein wenig zu packen, die Blumen wollen noch gegossen werden, das eine oder andere Telefonat steht noch an. Schließlich sind die Taschen gepackt und ich bringe sie am Rad an. Eine neue Erfahrung, diese riesigen Seitentaschen am Trike. Erst konnte ich mich gar nicht vorstellen, dass sie sinnvoll beladbar sind, dachte, da würde alles nach vorne abrutschen. Aber ich sehe: es funktioniert, und es ist eine Menge Platz drin. Dort habe ich alles verstaut, was ich zum Anziehen benötige plus die Reparaturwerkzeuge, Ersatzmantel und ~schläuche.
In meiner gewohnten Seitentasche habe ich meinen grünen Rucksack mit dem Laptop, so dass ich stets mit Internet versorgt bin, und vor allem, dass ich diesen Blog verfassen kann.
Als ich gegen 13:30 h meine Wohnung verlasse, sind schon einige Wolken aufgezogen. Bin mal gespannt, ob es heute ohne Regen abgeht. Da ich an den beiden Vorderreifen keine Schutzbleche habe, wäre das echt von Vorteil.
Außerdem weht ein wirklich frischer, ja fast kalter Wind. Ich habe zwar kurze Hosen an, aber bin froh, dass ich mir mit zwei Windstoppern noch sehr sexy Reizwäsche gekauft habe, die ich über meine Beine gezogen habe.
Nach einigen Einstellungen auf meinem Navi geht es los. Gleich bedaure ich die Frauen, die diese Wäsche für uns Männer (und natürlich immer auch für sich selbst) tragen. Die Strümpfe rutschen immer weiter nach unten. Sieht irgendwie komisch aus, wenn zwischen der kurzen Hose und ihnen meine noch blasse Haut hindurch scheint. Ich versuche meine Windstopper immer wieder während der Fahrt nach oben zu ziehen. Was nicht unbedingt ungefährlich ist. Kann ich doch dabei meinen Lenker nicht festhalten, und das Rad driftet nach irgendeiner Seite.
Später habe ich mir im Zuge einer Pause die beiden Dinger ganz weit nach oben gezogen, und damit erreicht, dass ich für lange Zeit meine Ruhe habe. Also liebe Damen und Reizwäscheliebhaberinnen: wenn ihr einen Experten für das Anlegen Eurer Wäsche braucht: wendet euch vertrauensvoll an mich. Am Ende meiner Reise werde ich die notwendigen Techniken absolut beherrschen.
Ein erster großer Fehler war, dass ich mich sofort auf meine Navi verlassen habe. Und das in meiner eigenen Heimat. So stelle ich verärgert über mich selbst fest, dass ich nach über nun schon 30 gefahrenen Kilometern links nach Mering einbiege, auf eine Straße von Odelzhausen kommend. So habe ich also schon fast zehn Kilometer verloren und den Landkreis Dachau noch nicht mal verlassen. Wie peinlich. Wenn das so weitergeht……
Es ist eine Kopfsache. Wenn du das Gefühl hast, umsonst zu fahren, greift das deine Psyche an. Wenn du das Gefühl hast, wirklich gut voranzukommen, vergisst du die Anstrengung und kannst ein Gefühl der Glückseligkeit in dir selbst entfachen.
Aber es geht weiter. Das Wetter bleibt frisch, aber ich passiere mir so vertraute Orte wie Kissing (haben sie dort schon mal geküsst? Soll eine Wucht sein!), oder auf dem Weg nach Augsburg – Mering. Aber will ich überhaupt nach Augsburg? Ich möchte doch letztendlich nach Italien. Muss ich da durch Augsburg. Und wo ist Landsberg? Das ist doch eigentlich die Stadt, durch die ich fahre, wenn ich an den Bodensee als Zwischenziel möchte. Kein Hinweisschild, keine Ahnung. Aber ich fahre einfach weiter. Schaue ab und zu auf mein Navi, auf das ich mich gar nicht mehr verlassen möchte. Aber wo bin ich, womöglich kann es mir doch weiterhelfen!?
Nach über 50 gefahrenen Kilometern und einer eingelegten Pinkelpause (auch um meine schmerzenden, von einem starken Pelzigkeitsgefühl befallenen Füße zu entspannen), endlich ein Hinweisschild nach Landsberg. Aber was soll das: noch 24 Kilometer. Von mir zu Hause sind es gut 50 Kilometer bis Landsberg am Lech. Also schon 25 Kilometer umsonst gestrampelt. Ich versuche mich innerlich zu beruhigen, mir einzureden, ich sei doch nicht auf der Flucht. Es hilft. Aber leider nur ein bisschen. Schließlich komme ich aber doch besser voran und vor allem: in der richtigen Richtung.
An der Lechstaustufe folge ich dem Radweg, der jäh endet an einer Baustelle mit einer dermaßen abgedichteten Vollsperrung, dass ich nicht mal mit dem Fahrrad mich durchzwängen kann. Hier habe ich schon ein erstes Urlaubsfeeling, als ich die ganzen an Land gezogenen Boote auf dem Damm sehe. Nun mache ich es wie die Frauen: ich frage nach dem Weg.
Ein Pärchen, das mir entgegenkommt, rät mir, die ganze Staustufe zu umfahren und auf der anderen Seite mein Heil zu suchen. Gesagt. Getan. Ich umrunde das Wasser. Überall setzt der Frühling seine ersten Markenzeichen..

Die Bäume treiben aus und die Wiesen quellen über vor gelb blühendem Löwenzahn.
Die Landschaft verändert sich schon ein bisschen. Es wird hügeliger und das Unterallgäu lässt grüßen. Die Sonne versteckt sich manchmal hinter den Wolken, aber alles in allem bleibt es trockenGegen 19 Uhr erreiche ich Mindelheim und ich fahre in die Altstadt hinein. Eine wirklich süße alte Stadt mit bunten Häusern im Kern innerhalb der Stadtmauer. Ich fahre auch ganz schnell auf ein Hotel zu, das sich in einer Nebenstraße befindet. Steige ab. Klingle am Eingang. Niemand öffnet mir.
Nur eine Dame aus dem Haus gegenüber tritt auf die Straße, um ihren Abfall in der Mülltonne zu entsorgen. In breitem Schwäbisch spricht sie mich an. Ich muss mich umstellen, um zu verstehen. Sie meint, ich könne die Nummer anrufen, die an der Türe steht. Die Eigentümer hätten noch ein zweites Hotel in Erkheim, und könnten in ein paar Minuten hier sein.
Nun gesellt sich noch ein vorbei spazierendes Ehepaar dazu. Ich frage, wie weit Erkheim noch sei. Der Mann gibt Auskunft. Noch vierzehn Kilometer schätzt er. Ich überlege. Gegen 20:00 h kann ich dort sein. Ich entscheide mich, dorthin zu radeln. Lasse mir noch den Weg erklären.
Jetzt läuft es plötzlich super, wenngleich es mittlerweile empfindlich kühl geworden ist. Ich lasse die Räder laufen und hin und wieder die Kette rasseln. Das Ziel vor den Augen macht es nochmal richtig Laune. Schließlich erreiche ich das Hotel in Erkheim, in der Nähe der
bekannten Firma Baufritz, die sich auf die Errichtung von ökologischen Holzhäuser spezialisiert hat. Dankbar hieve ich meinen Body aus dem Rad und schlendere gelassen zur Rezeption. Ich läute. Eine Dame erscheint. Und selbst meine mir aus dem Gesicht springende Müdigkeit und Enttäuschung, auch mein Hinweis, ich würde auch in der Besenkammer gerne schlafen, erweichen sie nicht. Nein. Das ganze Haus wäre belegt und im Ort gibt es auch keine andere Alternative.Ich bin konsterniert. Ich bettle. Ich falle auf die Knie. Sie hilft mir endlich hoch und telefoniert mit einem anderen Haus. Ich habe Glück. In Günz an der Günz im Hotel Laupheimer oder so ähnlich, hätten sie noch ein Zimmer frei. Frau Erkheim erklärt mir den Weg. Es seien nur ca. sechs Kilometer. Ich schwinge mich wieder auf´s Rad. Es wird schon dunkel. Und vor allem: es ist mittlerweile eiskalt geworden. Schlotternd komme ich am Hotel an. Meine Sachen darf ich noch in den zweiten Stock tragen in ein riesiges, für einen König, oder sagen wir mal, zumindest für einen Grafen bereitetes Zimmer. Immerhin. Mir wird wieder warm dabei.
Schnell stehe ich unter der Dusche und begebe mich ins Restaurant nach unten. Ich habe großen Hunger. Zwei Herren am Nebentisch sprechen mich sofort an. Der eine arbeitet bei der MAN in Karlsfeld. Er will wissen, woher ich komme und legt mir dar, dass er sich in meiner Heimat gut auskennt. Ich möchte endlich bestellen. Aber die beiden sind nett – und ich auch. Schließlich stehen sie auf, und geben mir die Chance, meinen Magen nach einem anstrengenden Tag zu füllen.
Nach dem ergiebigen Abendessen falle ich nach ein Fernsehen in einen tiefen und erholsamen Schlaf.
Die Daten des ersten Tages in der Zusammenfassung:
Strecke: 127,08 Kilometer
Fahrzeit netto: 05:58:47 Stunden
Brutto: von 13:30 h bis ca. 20:30 h
Durchschnittsgeschwindigkeit: 21,25 kmh
Höhenmeter: 882 m