2. Etappe von Günz an der Günz nach Konstanz

Als ich aufwache, scheint durch die Gardinen schon ein wenig die Sonne. Erst denke ich, endlich habe ich mal wieder sehr lange geschlafen. Aber nachdem ich durch hilfloses umhertapsen endlich die Fernbedienung des TV-Geräts gefunden und dieses eingeschaltet habe, stelle ich fest, dass es gerade sieben Uhr morgens ist. Macht nix, waren es doch fast acht Stunden erholsamen Schlafes.

Das erste, was ich an diesem Tag merke, ist, dass meine Lunge durch die erbarmungslose Kälte am gestrigen Abend doch ein wenig gelitten hat. Ich huste mir die Seele aus dem Leib, hoffe, dass ich mir nicht eine ausgewachsene Erkältung zugezogen habe.

Nach dem Anlegen meiner Windstopper. Eine Reizwäsche, die mich ständig wütend macht, weil es auch eine "Rutschwäsche" ist.

Nach dem Anlegen meiner Windstopper. Eine Reizwäsche, die mich ständig wütend macht, weil es auch eine „Rutschwäsche“ ist.


Ich ertappe mich beim negativen Denken und switche sofort um. Ich werde einfach weiterfahren. Die Sonne strahlt vom Himmel, und alles ist in Ordnung.
Da ich gestern Abend wirklich sehr kaputt war, beginne ich noch vor dem Frühstück mit dem Schreiben an der gestrigen Etappe. Das flutscht auch ganz ordentlich. Fertig bin ich damit allerdings nicht, als ich mich gegen kurz vor Neun zum Frühstück ins Erdgeschoss der Herberge begebe. Eine ältere Dame erwische ich gerade beim Abräumen des Frühstücksbüffets. Als sie mich wahrnimmt, fragt sie mich eifrig, ob sie noch Wurst und Ei bringen kann. Ich bejahe, denn ich habe schon früh am Tage einen Bärenhunger, und schließlich muss ich mir eine Reserve für die nächste anstrengende Etappe anessen.

Das gelingt auch ganz gut, ich habe auch viel Durst, mache mir mehrere Tassen Kräutertee und von einem asiatischen Tee, den ich später entdecke, versehen mit Limone, der hervorragend schmeckt.

Zurück im Zimmer räume ich meine Sachen zusammen. Da ich mal vermute, dass das Wetter zwar schön, aber weiterhin herrlich erfrischend ist, zwänge ich mich wieder in meine Windstopper-Reizstrümpfe. Jaja, das macht Sinn, auch wenn der eine oder die andere unter meinen Lesern herzhaft darüber lachen möge. Dafür ist der Blog (ja auch) da.

Alles zusammengepackt begebe ich mich zur Rezeption. Ich klingle. Eine Dame kommt aus der Küche und mustert im Vorbeigehen interessiert meine Reizwäsche. Ich bin also böse und verwegen. Spreche sie sofort auf ihre Blicke an meinen Beinen entlang an. Aber sie wendet sich ab und sucht verzweifelt irgendetwas in einer abgewandten Ecke des Rezeptionskapuffs. Sie wünscht mir noch eine gute Fahrt, gerade als mich ein weiterer Angestellter auf mein Fahrrad anspricht, dass ich vor dem Brauereigebäude hinter dem Haus unters schützende Dach gestellt, und an einer mit Bierkisten aufgestapelten Euro-Palette festgezurrt habe. Ich erteile ihm bereitwillig Auskunft auf seine Fragen zum Rad.

Löwenzahnwiesen allerorten im Unterallgäu. Der Frühling grüßt  mit Sonne und blauem Himmel.

Löwenzahnwiesen allerorten im Unterallgäu. Der Frühling grüßt mit Sonne und blauem Himmel.


Nun geht es raus an die frische Luft. Ich habe mich heute Morgen akribisch vorbereitet und mir alle Orte bis Lindau auf ein Stück Papier geschrieben, um das Verzetteln zu vermeiden. Komisch, dass man das gerade mit einem Zettel bewerkstelligen kann.

Ich fahre aus dem Hof der Brauerei und biege rechts auf die Straße. Ich orientiere mich nach Memmingen, die erste größere Stadt auf meinem Weg nach Konstanz. In Konstanz möchte ich heute Abend übernachten, morgen die ungefähr hundert Kilometer nach Zürich fahren und dann mit dem Zug nach Chiasso zur Staatsgrenze nach Italien weiterreisen. Dann am Freitag in Richtung Borgosesia, einem kleinen Städtchen im Aosta-Tal im nordwestlichsten Zipfel Italiens entgegen fahren. Dort lebt eine gute Freundin aus den Achtziger und Neunziger Jahren, die ich das letzte Mal 2005 gesehen habe, als ich sie mit meiner damaligen Freundin auf der Heimreise eines Frankreich-Urlaubs besucht habe. Spontan und unangekündigt, wie auch diese Woche.
Schnell finde ich den Weg durch das Unterallgäu. Riesige Blumenwiesen säumen meinen Weg und ich habe das Gefühl, Gänseblümchen und Löwenzahn fühlen sich hier zu Hause. Es ist wundervoll, die Wiesen vom Rad zu betrachten, unter blauem Himmel alles strotzend von Grün und Gelb.

Nicht alles auf meiner Reise ist schön!!

Nicht alles auf meiner Reise ist schön!!


Ich komme gut voran und bin bemüht im Gegensatz zu gestern, viele Umwege zu vermeiden. Einer allerdings bleibt mir nicht erspart. Kurz vor zwölf Uhr biege ich von der Hauptroute ab, um in einem Ort die Sparkasse aufzusuchen. Leider hat die Sparkasse am Mittwoch für Kundenverkehr immer geschlossen. Ich hätte gerne einen 500 Euroschein getauscht, den ich mir bei der Bank meines Vertrauens für einen Kauf mal geholt hatte. Irgendwie habe ich Angst, dass ihn mitschleppe, und ihn doch keiner will.
Ein Kumpel beim savoir vivré.

Ein Kumpel beim savoir vivré.

Ich kurble zurück und schlage nunmehr den Weg nach Leutkirch ein. Es macht wirklich Spaß, mit dem Trike zu fahren. Mit einer Ausnahme: meine Füße leiden sehr. Werden pelzig und teilweise beginnen zwischen Kilometer 80 bis 90 die Zehen meines rechten Fußes dermaßen zu schmerzen, dass ich einfach aufhören möchte. Ich muss ständig pausieren. Absteigen. Wenn das so weitergeht……

Ein Traum von einem Haus und gepflegtem Drumherum. Herrlich!

Ein Traum von einem Haus und gepflegtem Drumherum. Herrlich!


Leider habe ich kein Bild von der beschilderten Abzweigung gemacht. Aber eine Ausschilderung führte auf den „Hoschmiweg“. In Oberbayern lautet die adäquate Übersetzung aus dem Schwäbischen: „Host-Mi-Weg“. Dieser Weg könnte existenziell sein, verführt er doch, allen (anderen) klar machen zu wollen, mich zu verstehen. Ich habe aber spontan in eine andere Richtung eingeschlagen. Erst möchte ich mich selbst sehr gut verstehen!
Es gibt Menschen, die lieben ihr  Zuhause - und zeigen es allen anderen, die es sehen möchten.

Es gibt Menschen, die lieben ihr Zuhause – und zeigen es allen anderen, die es sehen möchten.


Das Wetter ist heute wirklich toll und seit geraumer Zeit denke ich darüber nach, meine Strümpfe auszuziehen. Aber mir ist klar, dass ich das nicht am Straßenrand tun darf. Weibliche an mir vorüberfahrende Automobilistinnen könnten Gefahr laufen, schwerste Unfälle zu verursachen. Männliche Fahrer könnten ihre Partnerinnen verlieren, wenn diese einen Blick auf mich wagen würden.

Insofern nutze ich die Gelegenheit, als ich mich nach dem Städtchen Wangen im Allgäu ein wenig verfahre und nach einer kurzen Unterredung mit einem jungen Montainbike-Fahrer wieder auf den richtigen Weg finde. Der führt durch ein kurzes Waldstück neben der Eisenbahn. Ich nutze die Gunst der Minute, reiße mir Schuhe und Windstopper vom Leib. Alles geht ganz schnell. Dann folge ich den Anweisungen meines jungen Freundes. Aber irgendwie verfahre ich mich wieder. Teilweise sind die Radwege Richtung Lindau ausgeschrieben. Aber an manchen Kreuzungen findet sich – NICHTS. Und ich stehe da wie der Ochs vorm Berg. Rätsle, wohin es gehen könnte – und schlage natürlich die falsche Richtung ein.
Umwege – sind wohl das Motto meines Lebens. Egal – Hauptsache, sie führen zum Ziel. Wie geht´s dir damit, lieber Leser? Kennst du die Problematik? Bitte lass es mich per Kommentar wissen. Ich freue mich zu lesen, wenn anderen das Leben ähnlich oder vielleicht auch ganz anders spielt.

Obstwiesen und Weinanbau. Schon am Duft zu unterscheiden.

Obstwiesen und Weinanbau. Schon am Duft zu unterscheiden.


Es ist wirklich erstaunlich, wie warm es plötzlich ist. Der kalte Wind ist verschwunden. Ich cruise durch Obst- und Weinbauplantagen. Hier im Süden steht alles in voller Blüte und ich habe das Gefühl, schon in Italien zu sein, so weit ist die Natur im Vergleich zum kalten München bereits.

Wein von Obst ist hier sehr leicht am Geruch zu unterscheiden. Obst – geruchlos (im Vorbeifahren), Wein: schwefelhaltiger Duft.

Endlich erreiche ich Friedrichshafen, die Stadt von Graf Zeppelin. Ich habe Lust auf einen Capuccino. Schnell finde ich einen Italiener gegenüber des Zeppelinmuseums – wie könnte es auch anders sein. Das Leben tobt hier. Neben mir an den Tischen sitzen der Sprache nach zu urteilen viele Menschen aus dem Balkan.

Das Zeppelinmuseum in Friedrichshafen am Bodensee. Vom Garten einer Pizzeria während dem Abendessen fotografiert.

Das Zeppelinmuseum in Friedrichshafen am Bodensee. Vom Garten einer Pizzeria während dem Abendessen fotografiert.


Teilweise Frauen beim Ratsch, Männer mit ihrer Liebsten, oder auch Mütter mit ihren Kindern. Ich bestelle mir einen italienischen Milchkaffe mit Espresso und eine vegetarische Pizza. Sie ist so überraschend groß, dass ich froh bin, dass dieses ominöse Ding schon spätestens ab 18:23 Uhr durch meinen Magen zersetzt wird. Viel später hätte dieses Organ keine Chance mehr, bis Donnerstagmorgen damit fertig zu werden.
DER ZEPPELIN für Kinder vor dem Museum.

DER ZEPPELIN für Kinder vor dem Museum.


Ich schließe meine technischen Geräte an die mitgeführte Powerbank an, um sie wieder aufzuladen. Dann setze ich meinen Weg fort. Noch knappe 20 Kilometer nach Meersburg. Ich war dort schon einige Male, und weiß, wo die Fähre nach Konstanz übersetzt. Da ich wohlweißlich mein Hotel schon in Friedrichshafen gebucht habe, muss ich es also nur schaffen, in Konstanz anzukommen. Scheint nicht schwierig zu sein.
So sehen die Städte am Bodensee aus: bunt und pittoresk.

So sehen die Städte am Bodensee aus: bunt und pittoresk.


Auf meinem Weg sprechen mich von oben herab plötzlich zwei Schweizer (L)eidgenossen an. Wir suchen alle den Radweg nach Meersburg. Schließlich finden wir ihn und kommen ins Gespräch. Sie wollen über das Fahrgefühl in einem Trike erfahren. Mich interessiert, ob die Schweizer Bundesbahn mich von Zürich nach Chiasso mitnimmt.
Oder auch so............ Vielleicht bin ich doch schon in Neapel????

Oder auch so………… Vielleicht bin ich doch schon in Neapel????

Wir helfen uns gegenseitig. Ich erhalte den Tipp, dass ich ihn Airolo aussteigen sollte (am Pass des Sankt Gotthart) und mir die Abfahrt nach Italien gönnen solle. Ich habe nochmal dringlich nachgefragt, ob es wirklich eine dauerhafte Abfahrt sei. Mein Kollege an der rechten Seite bejahte. Ich werde später berichten, ob er mich verkackeiert hat.

Eine italienische Eisdiele. Ach wäre ich doch schon in meinem geliebtem Italien!!!

Eine italienische Eisdiele. Ach wäre ich doch schon in meinem geliebtem Italien!!!


Als wir gerade bei schneller Fahrt unser Gespräch fortsetzen wollen, tut es einen Knall. Ich weiß augenblicklich, dass es mich betrifft. Ich bremse jäh und bringe mein Gefährt zum Stehen. Die beiden Schweizer Freunde halten an, fragen sofort, ob ich Unterstützung benötige. Da ich weiß, dass ich alle Ersatzteile bei mir habe, winke ich mit einem Dankesgruß ab, und die beiden setzen ihren Weg fort.
Nach der lautstarken Verpuffung: So sieht mein Vorderreifen aus.

Nach der lautstarken Verpuffung: So sieht mein Vorderreifen aus.

Mein Fahrrad wird, auf der Seite liegend, gut von mir behandelt. Die Fahrt kann bald weitergehen.

Mein Fahrrad wird, auf der Seite liegend, gut von mir behandelt. Die Fahrt kann bald weitergehen.


So. Nun war die Feuerprobe gekommen. Zwei linke Hände am Körper, und die Ersatzteile im Kofferraum. Ich bin mutig. Drehe das Rad um. Schaffe es hurtig, Schlauch und Mantel von der Felge zu ziehen. Dann stöbere ich in meinem Ersatzteillager. Für einen kurzen Moment erschrecke ich. Es hatte nämlich den Mantel des linken Vorderreifens zerrissen. Wundert mich nicht. Und ich erstelle mit Erschrecken fest, dass ich zwar zum Glück einen Mantel habe, aber keinen zweiten für das zweite Vorderrad. Die Reifen sind in einem erbärmlichen Zustand. Ich wechsle Schlauch und Mantel, was in ein paar Minuten erledigt ist. Aber: plötzlich umgarnt mich das sehr bestimmte Gefühl, dass gleich der nächste Mantel platzt. Lieber Gott, lass mich bitte heil nach Konstanz kommen.
Eine von Konstanz ankommende Fähre, die hierin Meersburg alle 15 Minuten auslaufen.

Eine von Konstanz ankommende Fähre, die hierin Meersburg alle 15 Minuten auslaufen.


Gott erhört mich. Es läuft recht gut seit der Reparatur. Vielleicht habe ich mir das ja auch durch meinen engagierten Einsatz am Straßenrand verdient!?
Gegen 19:45 h befinde ich mich auf der Fähre nach Konstanz. Schnell bringe ich meine Altlastenteile im Mülleimer des Schiffes unter, und muss den Room-Service meines Hotels morgen nicht mit der Entsorgung von diversen Gummiteilen (Schlauch und Mantel) belasten.
In Konstanz angekommen, befrage ich mein Navi nach der Turmschreibergasse 2. Dort soll sich mein Hotel befinden. Das Navi macht mit. Aber mein Fahrrad muckt plötzlich auf. Ich bemerke bei der rasanten Abfahrten in Richtung Zentrum von Konstanz, dass meine Kette an den vorderen Zahnrädern ungewöhnlich weit, und zwar fast bis zur Straße herunter hängt.
Der Blick auf die Schweizer Berge von Meersburg aus.

Der Blick auf die Schweizer Berge von Meersburg aus.


Passt das zusammen mit meinem Wunsch, morgen sowieso ein Fahrradgeschäft aufzusuchen, wegen eines zusätzlichen Mantels für meine 20“ Räder? JA. Das passt. Und als ich laut Navi 260 Meter vor dem Hotel bin, taucht ein riesiges Schild auf.
Konstanz vor Augen.

Konstanz vor Augen.

Ich bin glücklich, weil das Leben einmal mehr immer das liefert, was wir Menschen wirklich brauchen. Ein Fahrradbetrieb: INDIGO -Verleih/Verkauf/Reparatur.

Glücklich schiebe ich mein Trike unter den lachenden Blicken der Passanten in den Kneipen um mich herum zum Hotel. Es ist ja nicht mehr weit.
Die Dame an der Rezeption des Stadt-Hotels ist bedingt freundlich. Nein, schon sehr. Aber sie weißt mich darauf hin, dass es keine Stellplätze für mein Fahrrad gäbe. Ich erwidere, dass ich das nicht nur für den Preis noch nie erlebt habe. Das ist ihr aber relativ egal.
Mir im Übrigen auch. Ich parke mein Bike genau gegenüber vom Eingang des Hotels. Da auch noch die Kette von den Zahnrädern gesprungen ist, ist es eh nicht „klaubar“. Und Regen ist auch nicht angesagt. Alles gut also.

Dem Himmel sei Dank. Zweihundert Meter vor meinem Hotel eine Radlwerkstatt. Da kann ich beruhigt Schlafen gehen.

Dem Himmel sei Dank. Zweihundert Meter vor meinem Hotel eine Radlwerkstatt. Da kann ich beruhigt Schlafen gehen.

Ich dusche mich und suche eine Kneipe zum Verfassen meines Blogs auf. Und lande im TURM. Eine urige und gemütliche Altstadtbeiz mit freundlichen Bedienungen und einem guten Bier, das ich mir nach dem anstrengenden Tag schmecken lasse.

Die Daten des ersten Tages in der Zusammenfassung:

Strecke: 144,23 Kilometer
Fahrzeit netto: 07:09:50 Stunden
Brutto: von 10:30 h bis 20:30 h = ca. 10 Stunden
Durchschnittsgeschwindigkeit: 20,13 kmh
Höhenmeter: 909 m

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