Nach nicht zu langer Nacht in meinem engen Hotelzimmer erwache ich bereits durch die Helligkeit, die durch die Zimmerfenster dringt gegen 07:00 h. Nein, das muss nicht sein. Ich drehe mich um, döse noch eine gute Stunde weiter, einige Gedanken über den Tagesablauf im Kopf.

Konstanz an einem Frühlingsmorgen
Gegen 08:30 h mache ich mich auf die Socken. Packe meine Sachen und stelle sie bereit. Dann begebe ich mich auf die Straße, wo mein Trike die Nacht wohl gut überstanden hat. Ich schiebe das Rad die zweihundert Meter zu INDIGO, einem Radgeschäft, das sich im Untergrund befindet. Ich erspähe den Eingang sofort und schiebe mein Rad hinunter wie zum Eingang einer Tiefgarage. Hinter einer geöffneten Türe vermute ich die Fahrradwerkstadt. Und wahrlich – so ist es. Gleich kommt ein Alt-Achtundsechziger mit grau-meliertem Wuschelkopf auf mich zu. Er widmet sich nach meiner kurzen Beschreibung des Schadens direkt meinem Rad. Bewegt hier mal etwas, ruckelt da am Kettenspanner, schüttelt wieder seinen sympathischen Wuschelkopf. Nein, meint er, da könne er nicht helfen. Das Schaltwerk wäre kaputt und es ein Risiko, noch sehr weit damit zu fahren. Dieses sei ein spezielles Zehnfach-Schaltwerk der Firma SRAM, die heutzutage nur noch selten verbaut würden.
Na gut. Aber er nennt mir immerhin noch drei Radwerkstätten, eines davon sogar ein Liegerad-Geschäft. Einer der drei hätte vielleicht sogar ein Schaltwerk wie ich es bräuchte. Er zieht die Kette wieder stramm, so dass ich auf jeden Fall erst mal damit fahren kann. Als ich ihm erzähle, dass ich auf meiner Reise noch ca. 800 km vor mir hätte, meint er, dass das das alte Schaltwerk nicht mehr mitmachen würde.
Als wir auf der Straße stehen, wo er mir die Wege erklären will, kommt auf einem Fahrrad ein Kollege vorbei. Sie grüßen sich, er hält an, und weil er in einem der Radläden arbeitet, den ich aufsuchen sollte, kann hier schon mal ausgeschlossen werden, dass das Schaltwerk dort vorrätig ist. Dann waren es nur noch zwei.
Ich bedanke mich für die freundliche Behandlung und lege los zum Radium, einem Spezialgeschäft für Liegeräder und Trikes. Schon durch die Schaufenster erkenne ich eine Vielzahl mir bekannter Liegerad- und Trikemarken, die dort im Laden stehen. Ich trete ein. Ein Preuße, eher zurückhaltend, aber sehr hilfsbereit, wie sich gleich herausstellt, widmet sich mir sofort. Er bittet mich das Fahrrad auszuziehen (wie das halt beim Onkel Doktor so ist). Ich löse alle Taschen vom Rad, und er zieht es danach an einem Seilzug in die Höhe.
Auch er stellt fest, was ich schon weiß: das Schaltwerk ist defekt und muss ausgetauscht werden. Naja. Dann widmen wir uns zuerst mal den Reifen.

Konstanz am 20. April 2016
Ich habe gestern nach meiner Panne einen extrem dünnen Ersatzmantel aufgezogen, dem der Experte keine lange Lebensdauer in Aussicht stellt. Zumal die Reifendicke auf den beiden Vorderrädern auch noch grundverschieden ist. So darf er mir zwei gleichwertige und vor allem gleichartige Reifen der Marke Kojak (ohne Lolly) verkaufen und auch gleich noch aufziehen. So werde ich 69,- € los und habe noch keine Ahnung, ob ich meine Reise fortsetzen kann. Denn ein SRAM-Schaltwerk hat auch er nicht auf Lager. Bestellen könnte eventuell bis über das Wochenende dauern, bis es eingebaut wäre.
Immerhin bekomme ich noch einen Radladen zusätzlich genannt und schiebe mein ICE wieder aus dem Radium. Um mich sofort auf den Weg in die Inselgasse zu Radial zu machen. Ich finde das Geschäft relativ schnell, obwohl es sich in einem Hinterhof befindet.
Auch hier bedient mich ein extrem freundlicher Mitarbeiter. Er sagt aber auch, dass das Schaltwerk nicht provisorisch gerichtet werden kann. Er könne sich vielleicht in einem Anfall an Interesse ein Wochenende damit beschäftigen, was uns beiden aber natürlich nichts bringt. Ein Schaltwerk der Marke SRAM hat er nicht. Ein anderes der gängigen Marken könne aus Kompatibilitätsgründen nicht eingebaut werden. Alles klar. Ich schiebe mein Rad wieder vorsichtig nach draußen. Brauche eine kleine Pause vor den nächsten Tiefschlägen. Fahre im Schritttempo durch die Stadt und Fußgängerzonen. Das Wetter ist prächtig, ein bisschen frisch, aber die Sonne strahlt vom Himmel.

Ich kenne sie nun alle, die Fahrradgeschäfte am Bodensee
Schade, dass mein Plan, heute bis Zürich zu radeln, wohl nicht klappen wird. Momentan habe ich nicht mal eine Ahnung, ob es überhaupt weiter geht. Mein Magen knurrt mittlerweile gewaltig. Aber einen Versuch unternehme ich noch, bevor ich beim Griechen einkehre. Ganz in der Nähe des Restaurants befindet sich der letzte Tipp, den ich bekommen habe. Der Kollege steigt sogar tief in den Keller, um das einschlägige Schaltwerk ausfindig zu machen. Leider kehrt er unvermittelt und ohne positive Ergebnisse zurück. Nicht ohne mir einen letzten Hinweis auf ein Expertengeschäft zu geben. Ob ich schon bei Jester gewesen wäre, ein ausgemachter Mountainbikespezialist, der sehr viel mit SRAM arbeiten würde.

Impressionen aus Radolfzell. Fast schon wie im Süden jenseits der Alpen. Und auch ein bisschen wie München.
Dankbar gehe ich erst mal essen. Ein Mittagsgericht, Hühnchen am Spieß mit Kartoffeln und Salat. Schmeckt richtig lecker. Der Laden wirkt ein bisschen wie aus den 70-er Jahren des letzten Jahrhunderts. Die Bedienung ist sehr freundlich. Allerdings ist sie so dick, dass man, wenn man etwas weiter von der Küche entfernt Platz gefunden hat, sich eher auf eine kalte Vorspeise konzentrieren sollte. Dass das Essen warm, geschweige denn heiß ankommen würde, ist kaum wahrscheinlich. Sicher, in Griechenland in der Hitze unter der Akropolis würde das Essen nicht so schnell kalt werden.
Aber wie gesagt, ich bin dankbar, dass es diese nette Bedienung gibt, die mir eine wohlschmeckende Mittagsspeise kredenzt.
Nunmehr gestärkt setze ich meinen Weg zu Jester fort. Ein junger Mann bedient mich. Als ich ihm erkläre, dass er meine letzte Hoffnung sei, dass ich meine begonnene Radreise fortsetzen kann, legt er einen Zahn zu. Er wirkt zunächst überzeugt, dass er das ominöse Schaltwerk vorrätig hat. Er zieht selbstbewusst eine Schachtel aus einem Regal. Während er darin wühlt, wirken seiner Gesichtszüge immer verzweifelter. Fast entschuldigend, aber in jedem Fall bedauernd wendet er sich mit einem hilflosen Achselzucken an mich: er sei sich sehr sicher gewesen, dass sie das erforderliche Schaltwerk da gehabt haben, aber in den letzten Tagen sind wohl alle Schaltwerke abverkauft worden.

Das wunderschöne Allensbach auf dem Weg nach Radolfzell…..
Aber er hätte eine Idee. Ob ich denn schon bei JOOS gewesen sei. Ich verneine. Er sucht mir die Adresse raus, während ich bei bahn.de checke, wann ich im Laufe des späteren Nachmittags nach München zurückreisen kann. In Deutschland zu bleiben macht meinen Sinn, weil die Wettervorhersage für die kommenden Tage extrem bescheiden ist. Ich könnte am Abend gegen 23:00 h am Münchner Hauptbahnhof sein.

Ohne Umschweife und vor allem ohne Umfrage konnte ich Allensbach passieren
Aber die letzte Möglichkeit bei JOOS will ich nicht unversucht lassen. Ich rufe an. Nein, sagt der freundliche Mitarbeiter, so ein Schaltwerk habe er nicht. Und wie alle anderen bereits vorher, schlägt er auch vor, dass er eines bestellen kann. Aber garantieren, dass es

Ein männlicher Rauschgoldengel
Als meine Füße sofort wieder pelzig werden und zu schmerzen beginnen, erinnere ich mich an das Gespräch darüber am Morgen bei Radium, dem Dreiradladen. Der Eigentümer bestätigte mir nämlich auf mein Wehklagen, dass dies wahrhaftig das Problem bei dieser Art der Fortbewegung sei. Was man tun könne? Er meinte, es entweder mit einer härteren Sohle zu probieren, oder die Schuhe nicht so fest zu schnüren.

Schauinsland, denn Italien ist nicht mehr weit…….

…..nicht nur ich bin auf der Suche…..Wo ist Italien???
Komischerweise finde ich in Radolfzell schnurstracks zu JOOS, wie an der Schnur gezogen trudle ich dort entspannt ein. Herr Schmitt, ebenfalls ein ausgemachter Preuße, widmet sich wahrscheinlich mir, sieht mich aber in unserer gesamten folgenden und späteren Konversation nicht einmal an. Er ist groß gewachsen, hat ein kleines Bäuchlein und ist wie alle JOOS-Mitarbeiter komplett in schwarz gekleidet. Er meint, ich solle um 17:30 h wieder kommen und das Fahrrad abholen. Überrascht war er nur, weil er nicht darüber informiert war, dass es sich um ein Trike handelt.

Die Tulpen von Allensbach, auf meiner Rückfahrt nach Konstanz mit dem reparierten Rad entdeckt
Ich begebe mich nach draußen und marschiere in die Fußgängerzone, die direkt am Geschäft anfängt. Gleich hält mich eine hübsche Blondine auf. Sie drängt mir ein Gewinnspiel auf und erklärt mir auf meine Anfrage, wie ich darauffolgende lästige Werbung durch spezielles

Mein Trike bei JOOS in Radolfzell, nach der Frischzellenkur mit neuem Shimano-Schaltwerk
Positiv gestimmt kaufe ich mir am Bahnhof in Radolfzell ein Bahnticket für eine Reise von Konstanz nach Chiasso am morgigen Freitag. Da ich nun schon einen ganzen Tag auf meinem Trip verloren habe, und ich auf wärmeres Wetter in Italien hoffe, eine Alternative.
Um 17:30 h fällt mein Blick sofort auf mein Fahrrad, das da vollkommen nackt im Werkstattbereich von JOOS mutterseelenallein, und vor allem OHNE Schaltwerk herumsteht. Schmitt kommt herbei und meint, da gäbe es Schwierigkeiten mit dem Einbau. Vielleicht weil ich anbei bin, hebt er das Gefährt auf eine Tisch und prüft es nochmals mit einem Kollegen.
Und plötzlich höre ich sie sagen, dass es ja möglich sei, ein Shimano-Schaltwerk zu installieren. Und DARAUF warte ich nun schon den gesamten Tag. In der Stunde Wartezeit gehe ich nochmal was essen. Pünktlich zum Geschäftsschluss um 18:30 h fahre ich das nun reparierte ICE aus der Türe von JOOS. Kaum zu glauben. Und es funktioniert sogar. Zwar nicht so geschmeidig wie die SRAM, aber immerhin. Ich kann weiter fahren. So cruise ich jetzt zurück

Der Garten meines Hotels direkt im Wald und am See – wirklich toll. Ein Platz eigentlich zum länger Verweilen

Ich weiß, ich weiß, es ist nicht besonders romantisch mit diesem aber doch außergewöhnlichen Bild zu enden. Oder vielleicht doch? Ich habe noch nie eine Herrentoilette mit Klorollen an den Pissoirs entdeckt. So muss eben hier „der letzte Tropfen“ nicht zwangsweise in die Hose gehen
Die Tageszusammenfassung in Zahlen
Strecke: 56,95 Kilometer
Fahrzeit netto: 03:22:46 Stunden
Brutto: von 10:00 h bis 20:00 h
Durchschnittsgeschwindigkeit: 16,85 kmh
Höhenmeter: 321 m
3 Antworten zu 3. Etappe, die gar keine war: Konstanz – Radolfzell – Konstanz