Als ich gegen 09:00 Uhr nach erholsamem Schlaf während der Nacht und zweistündigem, morgendlichen Dösen aufwache, höre ich Christian noch ab und zu leise schnarchen. Eine Weile liege ich wach und versuche zu verifizieren, dass es wirklich die Sonne ist, die durch das Holzdachfenster scheint.

Ich kann es kaum glauben. Habe ich doch gestern Abend noch mit meiner Gefährtin telefoniert, die mir die schrecklichen Nachrichten aus Westdeutschland schilderte, wo die Flut nicht nur verheerende Schäden angerichtet hat, sondern es auch viele Tote und immer noch vermisste Menschen gibt. Und hier zeigt der Blick aus dem Fenster einen strahlend blauen Himmel, die Sonne scheint mich zu verspotten, und mir zu sagen: „Warum machst du dir Sorgen? Schau, ich bin da, alles ist gut“.
Hier im tiefen Böhmen macht am frühen Sonntagmorgen keiner Stress. So fühle ich mich doch ausgeruht. Man kann sich in solchen Momenten nicht vorstellen, dass woanders das Wetter schlecht sein soll.
Der heimatliche Lagebericht am Sonntagmorgen via Social Media sagt jedoch, dass im Inntal, wo wir beide seit September 2020 leben, der Regen nicht mehr aufhört, die Pegel der Flüsse unaufhörlich steigen und es laut Wetterbericht auch die nächsten Tage nicht zu regnen aufhören soll.

Aber leider, so schreibt mir meine Gefährtin, hat es die ganze Nacht durchgeregnet, dass es immer noch regnet und in unserer Dusche das Wasser nicht mehr gut abläuft, die Kanalisation das Wasser nicht mehr abtransportieren kann. Ich bin ganz schön besorgt, weil sie mir auch noch Bilder und Videos aus Kufstein und Kiefersfelden geschickt hat vom frühen Morgen. Das Wasser läuft in Sturzbächen durch die Städte, das Hab und Gut der Menschen einfach mit sich reißend, ohne auf den Zustand der Seelen Rücksicht zu nehmen.
Ich schlage meiner Liebsten vor, dass ich sofort heimkomme, wenn sich die Lage verschlechtert. Sie werde die wichtigsten Sachen aus dem Keller ins Erdgeschoss bringen, und dann abwarten.
Ich verspreche, dass ich mich im Laufe des Tages wieder bei ihr melde.
Meine Reisegefährten haben mittlerweile ihre Sachen zusammengepackt und nach unten zu den Rädern gebracht.
Ich beeile mich nun, damit sie nicht zu lange warten müssen, verstaue fieberhaft meine Kleidungsstücke, und die Kabel ,und das Laptop in meinen Fahrradtaschen. Dann schaue ich kurz durchs Zimmer- ja, nichts vergessen, und eile nach unten. Die Stimmung ist entspannt, wie ich erleichtert feststelle.

Christian befestigt noch eine Schraube an meiner Lenkertasche, deren Original schon bei ihrem ersten Einsatz gebrochen war und damit die Stabilität der Tasche in Frage stellt, da ich darin neben Handy, Geldbeutel und Taschentüchern auch meine schwere Kamera für die spontanen Schnappschüsse während der Fahrt gelagert habe. Viel Gewicht also, aber mit Hilfe meines Radelkumpans und seinen handwerklichen Fähigkeiten kein Problem.
Kurz darauf erscheint das Mohnköpfchen. So heißt unser Vermieter des Appartements übersetzt ins Deutsche, wie uns Oldino, unser tschechischer Zampano erklärt. Er kommt, um das Geld für die beiden Übernachtungen zu kassieren. Er parliert fast perfekt in unserer Sprache, weil er – wie er sagt – seine Ausbildung in Deutschland gemacht hat. Wiewohl uns Oldo am gestrigen Abend bereits darüber aufgeklärt hat, dass im Sudetenland immer noch viele Menschen die deutsche Sprache sprechen können.

Gegen 10:30 Uhr sind wir so weit, dass wir die Räder nach unten in die Stadt rollen lassen und sie dort angekommen, in einem Supermarkt deutscher Herkunft ausrollen lassen. Wir kaufen Getränke, ich besorge mir meine geliebten Reiswaffeln und Nüsse als Proviant für die Fahrt.
Dann tasten wir uns aus der Stadt Cheb, brauchen eine gute Viertelstunde, bis wir den Radweg an der Eger in Richtung Karlsbad gefunden haben. Es scheint die Sonne und die Temperaturen sind sehr angenehm zum Radfahren.

Die Strecke ist geteert, verläuft oft im Schatten durch die böhmischen Wälder, und der Blick auf die Eger ist meist garantiert. Allerdings ist die braungefärbt. Man merkt, dass die vergangenen regnerischen Tage den Fluss aufgerüttelt haben. Hin und wieder treffen wir auf Raststationen, die Kanuten den Einstieg in den Fluss gewähren und zusätzlich Kioske betreiben für die sportlichen Ausflügler.

Nach einer Stunde Fahrt kommen wir an einem Platz vorbei, an dem wohl ein internationaler Kutschen-Event stattfindet. Gerade werden verschiedene alte Kutschen aus einem wasser-durchtränkten Gelände, indem auch noch Pferdetransporter knietief im Wasser stehen, aus der Wiese gezogen. Die Straße ist total verdreckt, hier hat es vergangene Nacht wohl ziemlich geschüttet, und ich muss wieder an meine Freundin im Inntal denken.

Dann geht es weiter auf dem Eger-Radweg, nachdem wir im gleichen Ort viele Menschen auf einer Dorfkirmes gesehen haben, und auf unserer Radstrecke immer wieder vollbesetzte Kutschen an uns vorbeifahren.

Die Gegend ist wunderschön und ich frage mich, warum nicht viel mehr Radfahrer Tschechien für sich entdeckt haben, warum nicht viel mehr Touristen generell in dieses wunderschöne Land reisen, um dort Urlaub zu genießen.
Für uns ist es bereits der dritte Besuch dieser Region Europas mit dem Fahrrad. 2013 sind wir – auch zu dritt – bei brütender Hitze und Temperaturen um die 40 Grad von Böhmen über Brünn und Ostrau nach Mähren in den Osten von Tschechien gefahren, und auch noch ein Stück nach Polen hinein. Wir haben Krakau gesehen und sind eine etwas nördlichere Route wieder zurückgefahren.

Momentan radeln wir weiter bis Sokolov (Falkenau), einem kleinen Städtchen. Wir entschließen uns spontan eine Pause zu machen. Immerhin sind wir mittlerweile schon über 35 Kilometer geradelt. Auf dem Alten Markt gibt es eine Pizzeria. Wir kehren ein, ich bestelle mir einen Cappuccino, der so lala schmeckt, und eine Pizza, weil ich hungrig bin wie ein Wolf. Dass diese einen Durchmesser von 45 cm hat, ist mir bei der Bestellung nicht gewahr, bietet aber die Möglichkeit, dass sich meine Freunde auch an ihr laben.

Danach schwingen wir uns auf unsere Drahtesel und verlassen die Stadt wieder Richtung Eger-Radweg, Dabei kommt mir eine ältere Dame entgegen und ruft mir etwas zu, was ich als Nicht-Tscheche nur als eine Warnung erraten kann. Da Oldo verstanden hat, klärt er uns über ihre Worte auf: sie hätte uns zugerufen, dass der von uns eingeschlagene Weg sehr schlammig werden würde.

Wir lassen uns trotzdem nicht aufhalten und stellen schon nach wenigen Minuten fest, dass die Tschechen sehr ehrliche Menschen sind. Viele Kilometer direkt an der Eger, mitten durch schattige Wälder, sind nun auf durch den Regen der vergangenen Tage verschlammten und mit Wasserpfützen übersäten Untergrund zu bewältigen. Nach kurzer Zeit ist nicht nur mein Rad auf und auf mit Schlamm bedeckt, sondern auch meine Schuhe und meine Beine vollgespritzt.


Auch wenn es nur langsam vorangeht: es macht Spaß. Zwischendurch betreten wir eine schwankende Hängebrücke, schauen in die Windungen der Eger, glitschen und schlittern durch den weichen, schwarzen und erdigen Untergrund. Unser Ziel, Karlovy Vary (Karlsbad), kommt immer näher. Schließlich sind wir laut Beschilderung nur noch fünf Kilometer davon entfernt, als Christian einen Platten am Vorderrad meldet. Zum Glück sind wir schon am Stadtrand und kommen just an einer Tankstelle vorbei, an der er sein Rad einer Überprüfung unterzieht.

Schon wieder Glück für mich: ich habe schon während der Fahrt daran gedacht, mein Fahrrad in einer Autowaschanlage mit einem Hochdruckreiniger zu säubern. Während Christian also seinen Schlauch wechselt, bringe ich mein Rad auf Hochglanz. Der Hochdruckreiniger auf meinen Waden und am Schienbein verursacht dann eher ein zweifelhaftes, extrem britzelndes Vergnügen.

Nach Reparatur und Dusche begeben wir uns ins Zentrum von Karlsbad. Ich bin echt beeindruckt von dieser wunderschönen Stadt und möchte unten dazu einfach nur einige Bilder für sich sprechen lassen.



Zwei hoch-intellektuelle Forscher in einer bilateralen tschechisch-deutschen Arbeitsgemeinschaft verstehen nicht, warum der Krug trotz Ermangelung von Regen und bei strahlendem Sonnenschein nie leer wird. Gibt es doch ein Perpetuum Mobile, oder die eierlegende Wollmilchsau zu Rettung der Welt!??

Nach dem Bezug unseres Hotels, dem Duschen, machen wir uns zu Fuß auf den Weg ins Zentrum und landen in einem netten Lokal, in dem wir unser Abendmahl einnehmen. Nach der Pizza heute Mittag entscheide ich mich für Krautsalat und eine leichte Hühnersuppe mit Nudeln. Beides schmeckt hervorragend. Wir ratschen gemütlich und lassen den Tag bei dem einen oder anderen Bernard-Bier ausklingen. Alle schlafen schon während ich diese Zeilen verfasse. Nun ist es 0:32 Uhr und auch für mich Zeit, Kraft für die morgige Etappe zu tanken.
Was wir heute so alles gemacht haben in Zahlen:
Kilometer: 69,31
Höhenmeter: 292 hm
Durchschnitt: 16,22 km/h
Gefahrene Zeit: 256 Minuten

Und hier noch ein paar Impressionen von unserer Tagestour:








Achja, und aus der Heimat im Laufe des Tages die erfrischende Nachricht: der Regen hat aufgehört!!