Irgendwie haben wir in diesem Jahr einen für mich völlig neuen Reise-Rhythmus eingeschlagen. Während wir in den fast zwei Jahrzehnten Radreisen immer versucht hatten, viele Kilometer zu absolvieren, scheint es so, dass wir mit zunehmendem Alter ruhiger und gelassener werden.
Zumindest denke ich mir das heute Morgen, als mich beim dritten Erwachen und wieder Eindösen bei Lichteinfall durchs Fenster keiner anspringt mit der lustigen und lauten Aufforderung, ich möge meinen Prachtkörper aus dem Bett hieven, weil wir endlich aufbrechen sollten.

Ich drehe mich also noch einmal um und schlafe weiter. Irgendwann wache ich wieder auf, fühle mich gut, und merke wie auch meine beiden Freunde sich fast zeitgleich in die Vertikale begeben. Ein Blick aus dem Fenster unseres wunderschönen Hotelzimmers, dass wohl vor kurzem aufwendig restauriert worden war (eine Holzdecke aus Kiefern- oder Fichtenholz wurde unter die hohe Decke eingezogen und schaffte Platz für eine zusätzliche Etage, in der Christian und Oldo jeweils ein Bett vorfanden) zeigt, dass es mit der Rückkehr des Sommers noch nicht abschließend gediehen ist. Es ist recht wolkig draußen.

Alsbald genießen wir im Erdgeschoss unseres Hotels ein ausgiebiges Frühstück. Die beiden Damen sorgen immer wieder für Nachschub und füllen leere Behälter wieder auf. Natürlich ist es angenehm so verwöhnt zu sein. Manchmal stelle ich mir die Frage wie lange das wohl nich so weitergehe wird, dass von allem im Überfluss vorhanden ist. Wir werden es erleben.

Nach dem Frühstück packen wir unsere Sieben Sachen zusammen und schieben die Räder aus dem Verschlag hinter dem Haus. Ich ja am Abend zuvor mein Fahrrad hinter den Mülltonnen an der rechten Hauswand des Hotels geparkt, weil ich keinen Schlüssel für den Ugang zum Garten hatte. Heute Morgen ist das Radl nicht mehr da. Ich schlucke kurz und luge in den Verschlag hinter der Gartentüre, in dem meine beiden Freunde gerade ihre Räder packen und sie rückwärts ins Freie schieben. Ganz links an der Wand entdecke ich mein Fahrrad und vermute einen dreisten Gag meiner Kumpane.

Aber sie schwören Stein auf Bein, dass sie das Fahrrad nicht „in SicherheitW gebracht haben. Nun verscúchen wir uns aus Karlsbad herauszuschälen. Folgen meiner Navigation auf Komoot. Es dauert ein bisschen, bis wir die richtige Richtung einschlagen. Die Sonne scheint mittlerweile warm vom Himmel und es geht – bergauf. Wir haben schon am Morgen festgestellt, dass es sich um 530 Höhenmeter handeln soll, die heute vor uns liegen. Irgendwie will man das nicht glauben, wenn man an einem Fluss entlang fährt.


Aber- es geht unablässig nach oben. Schon nach einer halben Stunde und ein paar Kilometern (zum gl+ck hat sich die Sonne wieder verdünnisiert) erreichen wir verschwitzt ein kleines Dorf namens Bor mit einem abgeperlten Kramerladen. Die Fassade des erinnert wirklich an den guten alten Kommunismus, der uns schon damals als non plus ultra für die moderne Gesellschaft nicht überzeugen konnte.

Im Schaufenster stehen unzählige eineinhalb Literflaschen aus Plastik, was uns auch nicht grundsätzlich überzeugen kann, aber genau das ist, was wir gerade benötigen. Ich betrete den Laden und bin überrascht. Hinter der Kasse dieses Tante-Emma-Ladens steht der bärtige Onkel Emil und bedient die Kundschaft nicht nur persönlich sondern auch noch perfekt tschechisch und deutsch sprechend.

Draußen vor der Türe steht Christian. Er hat in diesem Jahr noch nicht viele Kilometer heruntergestrampelt und sagt, dass er diese Höhenmeter so nicht weiterfahren möchte und sich umschauen wird nach einer alternativen, flacheren Route. Wir überreden ihn, erstmal weiter mitzufahren. Irgendwann biegt er jedoch ab, verlässt uns, und Oldino und ich steigen wieder in ungeahnte Höhen. Dazu kommt, dass in dieser herrlichen Bergwelt, in der wiederum die Sonne strahlt und uns auslacht, der Untergrund immer schlechter wird.

Mittlerweile kämpfen wir uns über spitzes Schottergestein nach oben. Ich habe den kleinen Mann im Ohr und wenn die Eger-Radroute mit dem gelben Schild mit der Nummer 6 nicht am Wegesrand auftaucht, dann verlass ich mich auf die Stimme im Kopfhörer. Es geht aufwärts uns immer weiter nach oben. Anstrengend. Klar. Aber irgendwann kommt die Belohnung und wir dürfen wieder runter fahren an die von uns nie außer Sicht geratende Eger. Aus den Bergen haben wir immer einen Überblick über ihren Verlauf unter uns.

Doch ganz plötzlich scheint der Weg aufzuhören. Es geht steil bergab, und es sind nur noch zwei schon mit Gras überwachsene Fahrrinnen zu erkennen. Ich sage zu Oldo, dass ich sicher bin, dass diese Strapaze jetzt nichts mehr für Christian gewesen wäre. Wir fahren vorsichtig nach unten. Teilweise schiebe ich mein Rad, weil es mir zu gefährlich erscheint abzufahren.

Echt etwas für Mountain-Biker. Untern angekommen stehen wir vor einem Schlammloch. Und plötzlich taucht Christian hinter uns auf. Er hat sich entschieden, uns zu folgen. Wir radeln also zu dritt weiter über Stock und Stein. Da Krisch auf sehr schlanken Reifen fährt, dauert es nicht lange, bis er sich auch heute einen Platten fährt.

An einer Bergkuppe am Zaun einer Hundepension halten wir und stellen sein Rad auf den Kopf. Wiederum flickt er den modernen, neu gekauften Schlauch und ärgert sich über die schlechte Qualität der neuen Schläuche, die vier Nähte haben im Gegensatz zu einer der früheren Qualität. Sie lassen sich daher schlechter flicken. Man ist eher gezwungen, einen neuen zu kaufen. Was uns hier in den Bergen allerdings nichts nützt.. Nach einer knappen Stunde und mit der neuen Stoklasa-Methode zum Einpassen des Mantels sind wir wieder startklar.



Christian deutet an, dass er versuchen wird auf einer Landstraße zu unserem heutigen Etappenziel Kadan, zu kommen. Wir trennen uns kurz nach der Anfahrt an die Eger.

Christian wird sich auf der Landstraße den Weg zum Tagesziel erarbeiten. Oldo und ich folgen der Route Nr. 6m, also dem Eger-Radweg.. Es geht wieder steil bergauf. Weiterhin sind wir mit schlechtem Untergrund konfrontiert, der Mäntel und Muskeln stark beanspucht. Nach langen Anstiegen sind die Abfahrten entweder asphaltiert, steil und kurz, oder durch den Wald verlaufend auf spitzig-steinigem Geläuf, was unsere höchste Konzentration erfordert um einen Sturz zu vermeiden, und unser Durchschnittstempo nicht gerade erhöht.
Im kleine Städtchen Klösterle an der Eger (Klasterec) verliere ich Oldo aus den Augen, der den richtigen Weg einschlägt, an dem ich bei einer steilen Abfahrt vorbeirausche. Nach zehn Minuten und einem höchst überflüssigen Anstieg finde ich die Route wieder. Mein Blick fällt während der starken Steigungen immer links hinunter zur Eger, die doch recht breit ist und sich majestätisch ihren Weg durch die Schluchten bahnt.



Erst an unserem Zielort, und nachdem ich diese wirklich prächtige Landschaft mit der intensiven Vegetation genossen habe, sehe ich kurz nach meiner Ankunft vor einem Café, in dem ich liebend gerne so schnell wie möglich einen Eiskaffee genießen möchte, plötzlich Oldo auf den Hauptplatz des Ortes einrollen. Ich winke und rufe ihm zu. Schnell ist er bei mir, und noch schneller als wir denken ist auch der verlorene Sohn Krischan bei uns am Tisch und erzählt davon, dass die Luft aus dem reparierten Reifen bereits wieder raus ist. Morgen um 09:00 Uhr werden wir den einzigen Fahrradhändler der Stadt um eine dringende Audienz bitten.

Christian organisiert uns während unseres Aufenthaltes im Café in Windeseile eine Unterkunft hier in Kadan. Wie sich herausstellt, hat es diese in sich. Wir fahren auf das Stadttor zu, direkt davor auf der rechten Seite ist der unscheinbare Eingang zu unserem Hotel für diese Nacht.

Doch schon nach dem Eintritt in die heiligen Hallen erstarre ich fast in Ehrfurcht. Alles mutet italienisch an. Freigelegte Steinmauern, kleine quadratische Tische und ein Klavier, das im Speisebereich hier im Erdgeschoss an der Wand steht, erregen meine Aufmerksamkeit.

Eine junge, schwarzhaarige Dame nimmt uns mit den Schlüsseln – nachdem wir unsere Räder quer durch das Lokal und den angrenzenden Frühstückstrakt auf der anderen Seite wieder ins Freie und damit diebstahlsicher untergebracht haben – auf unser Zimmer im ersten Stock.

Schon das ist ein kleines Wunder. Normalerweise sind die angemieteten Zimmer in Hotels ohne Lift mindestens im dritten Stock. Was für ein Glück heute. Ein warmer Holzboden wirkt einladend, wenn die Zimmer betreten. Alles wirklich wunderschön eingerichtet, sogar eine Kochnische für länger verweilende Gäste ist um die Ecke im großen Schlafzimmer eingebaut.

Und das beste: ein ausgewachsener Guglhupf begrüßt uns auf dem Tisch, sowie eine große Kanne mit Wasser, indem sich erfrischende Kräuter befinden. Doch damit nicht genug. Die junge Lady meint, dass sie gerade ein Fass Bier frisch angezapft hätten. Da der die Krone davon noch etwas überschäumen würde, böte sie jedem von uns einen Krug davon an. Da sagen drei durstige Sportler selbstverständlich nicht nein.

Nach dem wohlschmeckenden kühlen Trunk hüpfe ich als erster in die Dusche und begebe mich alsdann wohlduftend ins Erdgeschoss. Die Möglichkeit ein wenig Klavier zu spielen lasse ich mir nicht nehmen.
Schließlich kommen meine beiden Freunde nach unter und wir machen uns auf, um in einem Restaurace essen zu gehen.
Was wir heute geschafft haben:
Kilometer: 54,15 km
Höhenmeter: 686 hm
Durchschnitt: 13,78 km/h
Gefahrene Zeit: 236 Minuten
Am Ende noch ein paar Impressionen in Bildern vom Tag:








